Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Möglichkeiten.« (ebd., S. 466) Und auch über die Verdrängung der Triebe als Ursache für die Entstehung des Schuldgefühls äußerte er sich in diese Richtung.
Es gibt noch ein weiteres Beispiel: In Abriß der Psychoanalyse heißt es: »Die Psychoanalyse macht eine Grundvoraussetzung, deren Diskussion philosophischem Denken vorbehalten bleibt, deren Rechtfertigung in ihren Resultaten liegt.« (Bd. XVII, S. 67)
Demnach seien die »Provinzen« (ebd.) der »Topiken« ( Unbewusstes, Vorbewusstes, Bewusstes sowie Es, Ich und Über-Ich ) reine Postulate. Weiter schrieb er: »Nach unserer Voraussetzung hat das Ich die Aufgabe, den Ansprüchen seiner drei Abhängigkeiten von der Realität, dem Es und dem Über-Ich zu genügen und dabei doch seine Organisation aufrecht zu halten, seine Selbständigkeit zu behaupten.« (ebd., S. 99)
Ich folge also Freuds Einladung und wage es, diese Behauptung philosophisch zu diskutieren. Vorerst und ohne Hintergrundinformationen zu Freuds Behauptung kann man sagen, dass sie das Gegenteil eines methodisch korrekt erzielten Ergebnisses verkörpert. Wir können sagen, dass hier nichts bewiesen, widerlegt oder in Erfahrung gebracht wurde, da nicht wissenschaftlich-experimentell vorgegangen wurde. Also können wir genauso gut das eine wie das andere behaupten, von einem Hirngespinst ausgehen oder nicht.
Diese explizite Skepsis und Widersprüchlichkeit spiegelt sich in Freuds Werken aus mehr als fünfzig Jahren. In seinem langen Leben hat Freud oft seine Meinung geändert, einmal formulierte Ansichten modifiziert und ist auf manche vormals geäußerte Behauptung später wieder zurückgekommen. Da gab es den Freud, der mit Fließ befreundet war und an dessen biologische Perioden, die Gleichsetzung von Nase und Sexualorgan und Zahlenspiele glaubte, und dann war da jener Freud, der schließlich alle Briefe, die dies bezeugten, verbrannte. Gemeinsam mit seiner Tochter machte er Experimente zur Gedankenübertragung und erklärte den Okkultismus in Briefen mehrfach zu einem interessanten Gegenstand für die Psychoanalyse – wie auch in Psychoanalyse und Telepathie (Bd. XVII, S. 25) –, behauptete aber später, gar nicht daran zu glauben – Traum und Telepathie (Bd. XIII, S. 165). Er geißelte die Sexualmoral, weil sie die Triebe unterdrücke und für die meisten Neurosen verantwortlich sei, weil sie zu hohe Ansprüche stelle und daraus nur Negatives entstehen könne, doch
zugleich verteufelte er Homosexualität und Selbstbefriedigung als Perversionen – man lese dazu die betrüblichen Passagen in Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen. Als Autor der Traumdeutung entwarf er eine erste Topik und zwanzig Jahre später in Jenseits des Lustprinzips eine – ganz andere – zweite. Er ließ sich die Sitzungen von den Patienten bezahlen und verteidigte dies theoretisch als Teil einer erfolgreichen Psychoanalyse – etwa in Über Psychotherapie (Bd. V, S. 19) –, doch er sorgte sich in seltenen Momenten auch um die Armen – etwa in Zur Einleitung der Behandlung (Bd. VIII, S. 466) – und meint in Wege der psychoanalytischen Therapie: »Diese Behandlungen werden unentgeltliche sein« (Bd. XII, S. 193) und müssten in den Ambulanzen durchgeführt werden. Dieser Wunsch wurde natürlich nie Realität. Freud sah die Religion als Ursache der Neurosen, etwa in Das Unbehagen in der Kultur oder Die Zukunft einer Illusion, und brachte doch den Niedergang der Religionen und die Zunahme der Neurosen in einen Zusammenhang ( Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität ). Als Autor von Das Unbehagen in der Kultur zeigte er sich pessimistisch und ohne Hoffnung auf Veränderung in der Welt oder Fortschritt, doch in Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens (Bd. VIII, S. 78–91) sprach er optimistisch von neuen gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten.
Und wir erinnern uns auch an den Freud, der von der Theorie der Verführung überzeugt war, sie in den Studien über Hysterie vertrat und später nicht mehr daran glaubte. An einen Freud, der über die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Psychologie nachgedacht hatte und später doch auf ein radikal psychisches Unbewusstes setzte. An jenen Freud, der keinen Zweifel an der Kraft des Kokains hatte ( Über die Allgemeinwirkung des Cocains ) wie auch an Elektrotherapie, Heilbäder, Hypnose mit und ohne Handauflegen und an Psychrophor und der all dies später zu bloßem Beiwerk erklärte. An einen Freud, der in La
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