Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
kann.« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 288) Die mit Affekt besetzte Fiktion: Hier handelt es sich wahrlich um eine glänzende Formulierung inmitten des Wörtersumpfs, als den man diesen Brief bezeichnen muss. Doch wie immer, wenn Freud der Wahrheit nahekam, kehrte er ihr sogleich wieder den Rücken und wandte sich seinen Fantasiegebilden zu.
Auf seiner Reise in die Dunkelheit zeigte er auch diesmal ein hohes Maß an Unaufrichtigkeit. Stolz behauptete er, sich mit seiner Theorie der Verführung nicht getäuscht zu haben. Das Trauma sei einfach derart tief im Unbewussten verankert, dass es nie an die Oberfläche gelangen könne. Dass die Patienten das sexuelle Trauma aus der Kindheit nicht anerkennen wollten, bedeute deshalb keineswegs, dass es nicht stattgefunden habe. Das verdrängte Trauma könne gar nicht ins Bewusstsein treten. Folglich habe Freud recht und der Patient unrecht. Dass der Patient das Trauma leugnet, beweise also gerade Freuds Theorie.
Später kam Freud in »Selbstdarstellung« auf die Theorie der Verführung zurück und geißelte sich zunächst selbstkritisch wegen »eines Irrtums […], dem ich eine Weile verfallen war und der bald für meine ganze Arbeit verhängnisvoll geworden wäre.« (Bd. XIV, S. 59) Jemand hatte sich also geirrt, doch wer? Nicht Sigmund Freud, sondern dessen Patienten natürlich, denn Kranke erzählen so manches, und Freuds einziger Fehler hatte darin bestanden, ihnen zu glauben! Es scheint demnach, als ob es nicht Freud gewesen war, der die unselige Theorie der Verführung entwickelte
und sein Vatermordfantasien auf die Patienten projizierte; er wurde vielmehr von seinen Patienten getäuscht – so lautete von nun an sein selbst erfundenes Märchen.
»Wenn jemand über meine Leichtgläubigkeit mißtrauisch den Kopf schütteln wollte, so kann ich ihm nicht ganz unrecht geben, will aber vorbringen, daß es die Zeit war, wo ich meiner Kritik absichtlich Zwang antat, um unparteiisch und aufnahmefähig für die vielen Neuheiten zu bleiben, die mir täglich entgegentraten. […] Als ich mich gefaßt hatte, zog ich aus meiner Erfahrung die richtigen Schlüsse, daß die neurotischen Symptome nicht direkt an wirkliche Erlebnisse anknüpfen, sondern an Wunschphantasien, und daß für die Neurose die psychische Realität mehr bedeute als die materielle.« (ebd., S. 59 f) Freud glaubte wohl, sich nie besser ausgedrückt zu haben!
Und in der Tat charakterisieren Wunschfantasien einen Neurotiker. Doch wer hatte diese Fantasien? Freud schrieb sie, ohne zu zögern, den Kranken zu. Denn er selbst gestand seine Fehler ja ein: Er hatte gesündigt, weil er zu unparteiisch war (!); er schreckte aus intellektueller Redlichkeit vor dem Nachdenken zurück (!); er zeigte sich aus wissenschaftlicher Neugier für alles aufnahmefähig (!) und glaubte, was man ihm sagte, ohne zu bedenken, dass die Patienten ihre Wünsche für Wirklichkeit hielten. Doch er, der Psychoanalytiker und Entdecker des Unbewussten, wusste natürlich nichts von diesen Mechanismen. Hatte er sich schuldig gemacht? Ja, aber nur einer zu großen Ehrlichkeit, einer zu starken Fixierung auf sein wissenschaftliches Ziel und einer zu großen Integrität und Objektivität. Letztlich war er einfach zu heldenhaft gewesen.
Freud schrieb, die Entdeckung des Ödipuskomplexes werde in Verbindung mit der Theorie der Verführung beweisen, dass er letztlich doch recht habe. Wie immer war sein Fehler angeblich doch keiner, sondern ein Schritt auf dem Weg zur universellen Wahrheit: der Psychoanalyse. In Freuds gesamtem Werk findet man keine Irrtümer, keine Widersprüche, keine Sinneswandel,
keine Fehler, kein Zögern, sondern eine langsame, aber stetige Bewegung hin zur Wahrheit. Kokainspritzen, Stromstöße, Bäderkuren, Hypnosen, Harnröhrensonden, Handauflegen, das Ausstrecken auf der Couch und die Rede gegen die Väter widersprechen einander nicht im Geringsten, sondern zeigen alle in dieselbe Richtung. Und das ist so, weil Freud es behauptet.
III.
Der Konquistador tappt im Dunkeln
»Ich protestiere aber gegen das Mißverständnis, als wollte ich
sagen, die Welt sei so kompliziert, daß jede Behauptung, die man
aufstellt, irgendwo ein Stück der Wahrheit treffen muß. Nein,
unser Denken hat sich die Freiheit bewahrt, Abhängigkeiten
und Zusammenhänge aufzufinden [ sic ], denen nichts in der
Wirklichkeit entspricht, und schätzt diese Gabe offenbar sehr
hoch, da es innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft so
reichlichen Gebrauch von
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