Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Zigarre gleich Phallus. Es handelt sich um rein formale Analogien. Weshalb sollte ein gedeckter Tisch für Weiblichkeit stehen, wenn nicht durch die biographisch und phallokratisch markierte Verschiebung, im Zuge derer Freud die Frau und Mutter (welche den gedeckten Tisch und die Mahlzeiten sicherstellt) mit dem Weiblichen assoziiert, dessen Schicksal es eben sei, sich um derlei Dinge zu kümmern? Und wie ist es zu erklären, dass Diebe in einem Traum, die in ein Haus einbrechen, mit Eltern gleichgesetzt werden, die ihr Kind aufs Töpfchen setzen – wenn nicht durch rein performative Kapriolen?
Derlei Analogiedenken bewegt sich am Nullpunkt der Reflexion. Freuds Traumdeutung gelang in der Auseinandersetzung mit der Traumsymbolik seit Artemidors gleichnamigem Werk aus dem 2. Jahrhundert nicht die geringste Weiterentwicklung. Freud ging nach demselben Prinzip vor wie schon die antiken Traumdeuter, nämlich dem der willkürlichen Gleichsetzung. Nach Lust und Laune stellte der jeweilige Interpret eine Äquivalenzbeziehung zwischen zwei Dingen her, wobei Freud zu sexuellen Deutungen neigte. Bei ihm stand jedes Bruchstück der Wirklichkeit für etwas Sexuelles. Seine Traumuntersuchungen und -kommentare, die sich als Interpretationen gerieren, boten deshalb keinen Zugang zu universellen Wahrheiten, sondern einzig zur subjektiven Gedankenwelt des Exegeten. In den Traumanalysen deckte Freud stets nur die eigene Wahrheit auf. So wurde der Traum zum Königsweg ins Unterbewusstsein des Traumdeuters.
Der Beweis: Versuchen mehrere Psychoanalytiker, denselben Traum zu deuten, so gelangen sie nie zu einer objektiven, immer
gleichen Version, sondern können je nur ihre eigenen Fantasien und Projektionen liefern. Ein Untersuchungsgegenstand produziert also viele heterogene, ganz persönliche Diagnosen, von Freuds Ödipuskomplex über Adlers Minderwertigkeit von Organen bis zu Lacans Objekt klein a und anderen performativen topischen Konstruktionen, aus denen sich die Geschichte der Psychoanalyse zusammensetzt.
Und nur wenn es eine einzige Interpretation einer bestimmten psychischen Gegebenheit gäbe und alle Psychoanalytiker ohne Absprache zu ein und derselben Deutung gelangten, könnte man von einer Wahrheit, von Wissenschaft sprechen und versuchen, die Psychoanalyse auf eine Stufe mit den Leistungen Kopernikus’ oder Darwins zu stellen. Doch die Traumdeutung lehrt uns mehr über den Deutenden als über den Traum. Alle Astrophysiker sind sich einig, dass die Erde rund ist und sich auf einer elliptischen Bahn um sich selbst und um die Sonne dreht. Alle Wissenschaftler stimmen darin überein, dass der Mensch ein Produkt der Evolution ist und sich aus dem Affen entwickelt hat. Doch alle Psychoanalytiker deuten eine psychische Gegebenheit auf ganz unterschiedliche Weise, weshalb wir die Psychoanalyse als Perspektivismus (nach der Art Nietzsches) und nicht als wissenschaftliche Lehre begreifen sollten.
Der Glaube an die Macht des symbolischen Denkens geht auf eine Voraussetzung zurück, die Freud in Abriß der Psychoanalyse beschrieb: »Die entscheidenden Regeln der Logik haben im Unbewußten keine Geltung, man kann sagen, es ist das Reich der Unlogik.« (Bd. XVII, S. 91) Wer rechnet schon mit einem derartigen Eingeständnis? Hier formulierte Freud selbst das Prinzip der magischen Kausalität. Und in diesem Reich der Unlogik erfand er eine Sprache, eine Welt, ein ganzes Universum; eine Utopie, eine mentale Atopie, in der er so ernsthaft lebte wie ein Kind, das seine Wünsche für die Wirklichkeit hält. Kinder statten sich mit Fantasiewaffen aus, um nicht existierende Feinde zu bekämpfen; Freud schneiderte sich das Kostüm eines Konquistadoren, um sich auf
die Suche nach dubiosen neuen Welten zu machen. Im Reich der Unlogik ist der Psychoanalytiker König.
Nach dem gleichen Prinzip behauptete Freud, das Unbewusste sei ein Rätsel, das es zu lösen gelte. In einem Brief an Fließ vom 6. Dezember 1897 wurde das Unbewusste deshalb plötzlich vom unzugänglichen Bereich zu einem Zeichen, genauer zu einer Inschrift umgedeutet, wie eine alte Sprache, deren Stein von Rosette man finden muss, damit man sie so lesen kann wie Griechisch, Latein oder die Hieroglyphen. Aufgabe des Psychoanalytikers ist also das Dechiffrieren und Übersetzen des Unbewussten.
Doch wie soll das mit einer Sprache funktionieren, die von der Unlogik bestimmt wird? Und kann eine unlogische Sprache überhaupt mehr sein als ein Zungenreden, eine erfundene Sprache
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