Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Psychoanalytischen Gesellschaft nicht respektierte. Er kolportierte die vertraulichen Geschichten seiner Schützlinge gerade so, wie er es für richtig hielt, und verschwieg auch Details aus dem Sexualleben nicht. Jones und Ferenczi berichtete er, was deren Geliebte ihm auf der Couch gestanden hatten. Unter dem Vorwand des wissenschaftlichen Fortschritts erzählten sich die Analytiker gegenseitig die Privatangelegenheiten ihrer Patienten. Wenn Freud einen Freund zum Feind machte, etwa weil dieser ihn nicht uneingeschränkt als Lehrer anerkannte, dann bediente er sich umstandslos der in der Analyse erfahrenen Geheimnisse. Mehr als ein in Ungnade gefallener Freund wurde so behandelt.
Beschäftigen wir uns genauer mit den fünf Fallstudien, die für Freuds Lehre konstitutiv sind. Im Jahr 1900 wurde Freud die achtzehnjährige Dora vorgestellt, und zwar gegen ihren Willen: Ihr Vater, der bei dem damals als Neurologe praktizierenden Freud wegen einer Syphilis in Behandlung war, zwang sie zu der Therapie. Der an Tuberkulose leidende Geschäftsmann hatte eine Affäre mit der Gattin seines Freundes, welcher wiederum
der Tochter nachstellte. Bereits mit vierzehn Jahren hatte Dora die Annäherungsversuche des Freundes ihres Vaters abgewiesen.
Sie hatte ihn geohrfeigt, woraufhin dieser die Tatsachen verdrehte und behauptete, in Wahrheit habe das Mädchen ihm Avancen gemacht, was angesichts der freizügigen Literatur, die sie lese, kein Wunder sei. Der alte Lüstling erklärte das junge Mädchen, das sich ihm verweigerte, einfach zu einer sexbesessenen Frau, der er zum Opfer gefallen sei. Als Dora in Freuds Praxis vorgestellt wurde, litt sie an Husten, Stimmverlust, Depressionen und Reizbarkeit, wurde von Selbstmordgedanken und regelmäßigen Migräneattacken geplagt.
Hier hätte man weder Ödipus noch die Urhorde heranziehen oder das Mädchen auf die Couch legen und psychoanalytisch behandeln müssen. Es war absolut nachvollziehbar, dass die Vierzehnjährige den Vierundvierzigjährigen zurückwies – sie fand ihn schlicht abstoßend. Entsetzt musste sie daraufhin erleben, wie sich der Täter als Opfer gerierte und seine widerspenstige Beute zur Sexbesessenen erklärte. Es war deshalb aus Sicht eines normalen Menschen keineswegs anormal, dass Dora sich in ihrer Haut nicht wohl fühlte und körperliche Symptome zeigte.
Doch Freud sah das anders: Ein junges Mädchen, das die Avancen eines Mannes zurückwies, der ihr Vater hätte sein können, war – eine Hysterikerin! Und ihre Fallgeschichte wurde zum Inbegriff dieses Krankheitsbildes. Freuds Interpretation lautete: Der Mann habe sich ihr genähert, folglich hatte er eine Erektion, folglich hatte er sich an ihr gerieben, folglich hatte sie das Glied durch die Kleidung gespürt, folglich … war sie erregt. Es kam Freud überhaupt nicht in den Sinn, dass die Konsequenz hätte lauten können: Folglich ekelte sie sich.
Das eine erklärt das andere: Eine Jugendliche, die sich einem alten Mann verweigert, ist eine Hysterikerin! In Freuds sophistischer Dialektik galt das Nein des jungen Mädchens als Ja. Diese Umwertung der Werte kennen wir schon aus den Ausführungen in Die Verneinung. Der Theorie zufolge drückt Protest eine Begierde
aus, und Verweigerung bedeutet eigentlich Zustimmung, sodass in diesem Fall aus der Zurückweisung der schmierigen Avancen eines doppelt so alten Mannes die Freude über dessen Lustbekundungen wurde.
In ähnlicher Art und Weise erklärte Freud, warum es Dora den Hals zuschnürte: Sie habe natürlich an eine Fellatio gedacht. Und spielte sie nicht während der Behandlung zwanghaft mit dem Verschluss ihres Portemonnaies? Damit verrate sie nicht nur ihr tiefes Unglücklichsein und ihre Angst, sondern offenbare auch ihr exzessives Masturbieren. Ihre Atembeschwerden hätten nichts mit ihrer Angst zu tun, sondern seien eine Wiederholung des Hechelns ihrer Eltern beim Geschlechtsakt, bei dem sie sie einmal überrascht habe.
Und weiter ging es in Freuds wissenschaftlichem Roman mit einem Traum: Dora hatte von einem Schmuckkästchen geträumt, das sie vor einem Brand retten wollte. Hier sah Freud Verdichtung, Verschiebung und Darstellung am Werk. Mit derlei Sophistereien wollte er beweisen, dass das junge Mädchen unbewusst mit dem Freund des Vaters schlafen wollte – also letztlich mit dem Vater selbst. Noch mithilfe der elementarsten, von Freud selbst gebrauchten Symbolik könnte man hier einwenden, dass die Rettung des (sexuellen)
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