Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Edwarda besteht unbestreitbar eine Ähnlichkeit.
Freud stellte sich selbst in die Tradition Nietzsches, der in Götzen-Dämmerung schrieb: »Erst das Christentum, mit seinem Ressentiment gegen das Leben auf dem Grunde, hat aus der Geschlechtlichkeit etwas Unreines gemacht: es warf Koth auf den Anfang, auf die Voraussetzung unseres Lebens.« ( Was ich den Alten verdanke, §4).
Freud versuchte sich dem Thema Sexualität zu nähern, ohne dabei zu moralisieren. Für ihn lag die Libido jenseits von Gut und Böse; es ging ihm nicht um ein moralisches Urteil. Er stand am Gegenpol von de Sade oder Bataille, da er den Sex nicht als Mittel zur Grenzüberschreitung begriff. Als Jude war er vor den katholischen Verirrungen des Marquis und seines Schülers gefeit.
Seine Schrift Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie erschien 1905, wurde aber 1910, 1915, 1920 und 1925 überarbeitet. Sie besteht aus den Texten Die sexuellen Abirrungen, Die infantile Sexualität und Die Umgestaltungen der Pubertät. Es geht darin um masturbierende Kinder, um Kinder, die sexuelle Spielchen mit ihren Kameraden praktizieren, die sich am Defäkieren ergötzen;
um Säuglinge, die das Saugen an der Mutterbrust genießen; um Homosexuelle, um jugendliche Onanisten, um die in jedem Menschen angelegte Bisexualität; um Cunnilingus und Sodomie, um Fuß- und Haarfetischisten, um Zoophilie, Voyeurismus, Exhibitionismus, Sadismus und Masochismus und viele andere sexuelle Fantasien; um klitorale und vaginale Frauen. Freud fällte keine moralischen Urteile, sondern sezierte die Sexualität auf dem philosophischen Operationstisch. Man stelle sich die Wirkung eines solchen Buches auf die Intellektuellen um 1900 vor! In einer Gesellschaft, die den Sex neurotisch vertuschte, so offen darüber zu sprechen, garantierte Freud immense Aufmerksamkeit.
Der zweite Grund für den Erfolg: Freud begriff sehr schnell, dass er die Psychoanalyse generalstabsmäßig organisieren musste, und zwar nach dem Modell der katholischen, apostolischen Kirche. Geheimkomitees, Rundbriefe für treue Anhänger, Gruppen für Auserwählte, die Weihe durch den Gründervater, das nationale, europäische und internationale Netzwerk, die Gründung von Vereinigungen, Bildungsstätten, Zeitschriften und spezialisierten Verlagshäusern, Kongresse sowie die Veröffentlichung der Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung machten aus der Psychoanalyse eine Disziplin, die offen nach universeller Geltung strebte und sich die dazu nötigen Mittel verschaffte – und zwar jenseits jeder Moral.
Freud förderte die hierarchische und pyramidale Organisationsstruktur seiner Schüler. Das Geheimkomitee (dem Rank, Ferenczi, Jones, Abraham, Eitington und Freud selbst angehörten) wurde 1912 von Jones gegründet und 1923 aufgrund von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern aufgelöst. Jones kam Freud gegenüber am 7. August 1912 auf seine »idea of a united small body, designed, like the Paladins of Charlemagne, to guard the Kingdom and policy of their master« [Idee einer kleinen Körperschaft, ähnlich der Paladine von Karl dem Großen, zum Schutz des Königreichs und der Politik ihres Herrschers] ( Complete
Correspondence of Freud/Jones, S. 149) zurück. Seit sie angefangen hatten, davon zu sprechen, war Freud der Idee mit großem Enthusiasmus begegnet und schrieb am 1. August 1912, dieser »secret council composed of the best and most trustworthy among our men« [geheime Zirkel bestehend aus den vertrauenswürdigsten unter unseren Männern] (ebd. S. 147) ermögliche ihm ein ruhigeres Leben und sogar einen entspannteren Blick auf den Tod. Die Idee zur Gründung des Komitees entstand in einer Diskussion zwischen Ferenczi und Jones, doch Freud machte sie sich in einem Brief vom 1. August 1912 zu eigen: »You say it was Ferenczi who expressed this idea, yet it may be mine own shaped in better times« [Sie sagen, es sei Ferenczis Idee gewesen, aber es könnte meine eigene sein – allerdings in besseren Zeiten formuliert] ( Complete Correspondence of Freud/Jones, S. 147). Damals glaubte er, Jung organisiere gerade ein ähnliches Komitee.
Das Geheimkomitee gestattete treuen Freudianern, einen Siegelring mit einem wertvollen antiken Stein zu tragen. Die engsten, eifrigsten, engagiertesten Anhänger erhielten ihn vom Meister geschenkt, was einer Art Weihe gleichkam. Selbst Anna bekam im Mai 1920 von ihrem Vater den symbolischen Ehering. Lou Andreas-Salomé, Ernest Jones’ Frau, Dorothy Burlingham, die
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