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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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die Zeitgenossen; der Krebs und das Exil sind die moderne Passionsgeschichte und der Todestag die Geburt der Legende.
    Wegen dieser Parallelen ist es im Interesse der Hagiographen, alles zu unterdrücken, was dieser Fabel widerspricht. Sie wollen die Kontrolle über alle Dokumente und Freud-Archive, um zu verhindern, dass ein anderes Bild von Freud entsteht – das Bild eines Mannes, der beruflich zögerlich agierte, es auf Geld, Erfolg und Ruhm abgesehen hatte; der Fehler machte und nach dem schnellen Glück in Wien strebte; der aus rein formalen Gründen eine Selbstanalyse durchführte; der seine Frau jahrzehntelang mit seiner Schwägerin betrog, viele Entdeckungen anderer zusammentrug und das entstandene Mosaik Psychoanalyse nannte; der mit nie erzielten Heilerfolgen prahlte und sein Herrschaftswissen an die eigene Tochter übertrug, die deshalb Jungfrau blieb. Sie wollten ein Bild verhindern, das diese und all die anderen Legenden offenbart, die Geschichte geschrieben haben.
    Auch die Lehre selbst entgeht dem Vergleich mit dem Christentum nicht. Als Parusie versammelt sie die phylogenetischen Sünden, nämlich Vatermord, kannibalisches Festmahl und Ödipuskomplex. Die Wahrheit liegt in einem Konzept namens Unbewusstes, das eine unsichtbare metapsychologische, allmächtige, allgegenwärtige, allwissende, unsterbliche, ewige, überzeitliche Instanz ist und wie eine Vorsehung wirkt, die den freien Willen unmöglich macht. Mit dem Inzest existiert eine verbotene Frucht und mit dem Ritual auf der Couch eine Soteriologie, die Erlösung durch eine Redekur verspricht, welche in mehr als nur einer Hinsicht an die Beichte erinnert.
    Die Logik der freudschen Lehre scheint der Kirche nachempfunden: Es gab einen Papst (Freud selbst), Bischöfe und Kardinäle (die Psychoanalytiker der ersten Stunde – Alfred Adler und Carl Gustav Jung, Sandor Ferenczi und Karl Abraham, Wilhelm Stekel und Otto Rank), Rituale (die Couch, die Sitzungen), Konzile (Kongresse, die Orthodoxie, die freudsche Lehre, die Häretiker, die adlersche und die jungsche Lehre); da waren Evangelisten
und Apostel (Ernest Jones), Judasfiguren (Adler und Jung), Ordinationen (vom Ritterschlag durch den Siegelring bis zum lacanschen Aufnahmeverfahren der passe ). Und die Parallelen finden kein Ende: Freud als monotheistischer Gott; sein Leben als das Leben von Gottes Sohn in Menschengestalt; seine Universalisierung nach Art einer Kirche.
     
    Der vierte Erfolgsgrund liegt darin, dass Freuds Jahrhundert auch das Jahrhundert des Todestriebs war – vom Massaker des Ersten Weltkriegs über die Gräueltaten der totalitären Systeme der Nazis und Sowjets, Auschwitz und Hiroshima bis zum Genozid in Ruanda und all den anderen Kriegen war das 20. Jahrhundert hochgradig nihilistisch. Die nihilistische Ontologie der Psychoanalyse setzt das Normale und das Pathologische auf gefährliche Weise gleich. Sie negiert den qualitativen Unterschied zwischen dem gesunden Geist und der Geisteskrankheit und differenziert nur graduell, sodass Wahnsinn, Perversion, Neurosen, Psychosen, Paranoia und Schizophrenie zu einer neuen Norm werden, nämlich zur Norm einer verrückten Zeit, während man die unverschämt Gesunden stigmatisiert. Die Überschneidungen von freudschem und zeitgenössischem Nihilismus trugen zum Erfolg der Psychoanalyse bei.
    Freud betonte immer wieder, das Normale und das Pathologische seien nicht grundverschieden, sondern nur unterschiedliche Abstufungen ein und derselben Seinsweise. Das bedeutet, dass es keine grundsätzliche Differenz zwischen dem Psychoanalytiker in seinem Sessel und dem Neurotiker auf der Couch gibt; nichts trennt den sadistischen Peiniger von seinem Opfer; nichts rechtfertigt die Differenzierung zwischen Diktatoren wie Dollfuß, Mussolini oder Hitler und deren bolschewistischen, jüdischen oder oppositionellen Opfern. Hitler und Etty Hillesum fielen Freud zufolge in ein und dieselbe Kategorie.
    Wer Beweise dafür sucht, wird in den Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung fündig. Anlässlich der Sitzung
vom 25. Mai 1910 notierte der Protokollant: »Prof. Freud wendet ein, daß die prinzipielle Unterscheidung zwischen Normalen und Neurotikern als etwas prinzipiell Anfechtbares erscheine« (Bd. II, S. 506). In Freuds letztem Buch von 1938, Der Mann Moses und die monotheistische Revolution, ist über die Phänomene des psychischen Lebens – die manche für »Normalität« und andere für »pathologisch« halten – zu lesen:

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