Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Philosophie, der Wissenschaft und der Psychoanalyse waren auch Texte von Einstein und Freud. Doch der Nazismus richtete sich gegen diese Menschen, weil sie Juden waren, nicht aber gegen die Relativitätstheorie oder Freuds Lehre.
Im Januar 1933 wollte Freuds treuer englischer Freund Ernest Jones, der von nichtjüdischen Analytikern gezwungen worden war, die Leitung des Berliner Psychoanalytischen Instituts (BPI) abzugeben, den nichtjüdischen Psychoanalytiker Felix Böhm an die Spitze der Einrichtung setzen, um »die Zusammenarbeit mit dem neuen Regime zu unterstützen«, so Élisabeth Roudinesco in Retour sur la question juive (S. 136). Jones, der auch Präsident der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft, Freud-Biograph, Gründer der Amerikanischen Psychoanalytischen Gesellschaft und Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung war, saß auf Anfrage der Berliner jener Sitzung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft vor, in deren Verlauf die Juden gezwungen wurden, zurückzutreten.
Freud hatte die Strategie einer Zusammenarbeit der Psychoanalyse
mit dem nationalsozialistischen Regime unterbunden, wie die Korrespondenz mit Max Eitington, der selbst Jude war, bezeugt. Zunächst fragte Eitington am 19. März 1933 klar und deutlich, wie man sich in der Frage des Berliner Instituts verhalten solle. Freud antwortete zunächst, das Problem sei nicht aktuell, eine Lösung sei aber denkbar: Würde die Psychoanalyse verboten oder das Institut geschlossen, solle man zunächst stillhalten; falls das Institut erhalten bliebe aber die Juden ausgeschlossen würden, müsse man in Berlin bleiben und versuchen, weiter Einfluss zu nehmen, damit das Überleben des Instituts gesichert sei. Und falls das Institut bestehen bliebe, aber Eitington Berlin verlassen und seine Position an einen Gegner der freudschen Lehre abtreten müsse, solle die Internationale Psychoanalytische Vereinigung das Institut ausschließen. Freuds Brief vom 21. März 1933 gab vor: »Als Parole möchte ich ausgeben. Keine Provokationen, aber noch weniger Konzessionen.« (Freud/ Eitingon, Briefwechsel, S. 848) Am 24. März antwortete Eitington, das Institut müsse in die Hände eines »Indifferenten« (ebd., S. 849) gelangen – die Formulierung sollte die Zensoren täuschen und bedeutete: ein Nichtjude. Er fügte hinzu, er wolle Berlin nicht verlassen. Doch Ende 1933 ging er nach Palästina und starb dort an seinem zweiundsechzigsten Geburtstag an einer Herzattacke.
Entgegen zahlreicher Behauptungen wurde die Psychoanalyse als solche nicht verfolgt. Auch die Analytiker wurden nicht als Analytiker verfolgt – sondern als Juden. Das Göring-Institut (das den Namen von Hermann Görings Cousin Matthias trug) ermöglichte den Fortbestand der Psychoanalyse zwischen 1936 und 1945. Geoffrey Cocks hat dies in Psychotherapy in the Third Reich ausführlich dokumentiert und festgestellt, dass »eine Nazi-Institution das Überleben der Psychoanalyse erleichterte« (S. 21). Matthias Görings Frau war in Therapie, und ihr Sohn machte eine Lehranalyse – ein weiterer, gleichsam anekdotischer Beweis dafür, dass die Psychoanalyse keine grundsätzliche Feindin des Nationalsozialismus war.
In einem Brief vom 17. April 1933 berichtete Freud Eitington von einer Begegnung mit Felix Böhm am selben Tag in Wien. In seiner Antwort vom 21. April erzählte Eitington detailliert von seinem Gespräch mit einem Vertreter der Nazis über das Verhältnis von Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Es habe ergeben, dass die Psychoanalyse weiter existieren dürfe, was nicht bedeute, dass jüdische Psychoanalytiker nicht wegen ihres Jüdischseins verfolgt würden.
Sigmund Freud, Max Eitington und der Nazi-Abgesandte Felix Böhm organisierten bereits im Juli 1933 den Herauswurf Wilhelm Reichs, dessen kommunistische Position Anna Freud und ihren Vater stets schockiert hatte. Freud schrieb über die geplante Absetzung Reichs am 17. April 1933 an Eitington: »Ich wünsche es aus wissenschaftlichen Gründen, habe nichts dagegen, wenn es aus politischen geschieht, gönne ihm jede Märtyrerrolle.« (Freud/ Eitingon, Briefwechsel, S. 854) Wie Freud gesagt hatte: Keine Provokationen oder Zugeständnisse gegenüber den Nazis. Und Provokationen gab es tatsächlich nicht.
Fazit
Die dialektische Illusion
Zum Ende dieser Analyse drängt sich eine Frage auf: Wenn Freud ein derartiger Märchenerzähler war, wie die voranstehenden Betrachtungen nahelegen; wenn er ein Philosoph
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