Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
geliebte von Anna, Marie Bonaparte gehörten zu den Frauen, die den Ring tragen durften. Freud zeichnete damit weniger die Apostel als vielmehr die Evangelisten aus.
Die anfänglich fünf Apostel agierten im Herzen der Psychologischen Mittwochsgesellschaft. Auf Initiative Stekels – von dem Freud später nach einem Streit nichts mehr wissen wollte – versammelte Freud vom Herbst 1902 an jeden Mittwochabend in seinem Haus eine kleine Gruppe von Ärzten, interessierten Laien und Psychoanalytikern (die zu den ersten ihrer Zunft gehörten). In seiner Autobiographie bekannte Stekel, er sei Freuds Apostel gewesen und dieser sein Christus. Die Gedanken seien wie Funken von einem zum anderen gesprungen, und er habe jede Mittwochssitzung wie eine Offenbarung erlebt.
Bei Zigaretten, Zigarren, Kaffee und Kuchen diskutierten die Apostel die Grundlagen der freudschen Lehre. 1906 zählte die Gruppe siebzehn Mitglieder. Otto Rank wurde ihr Sekretär, führte eine Anwesenheitsliste, verzeichnete die Beitragszahlungen und protokollierte die Diskussionen. Freud ergriff stets als Letzter das Wort und beendete die Sitzungen. Man sprach über klinische Fälle, Bücher und Forschungsprojekte, aber auch über Details aus dem Liebesleben; man gestand eigene Masturbationsvorlieben oder körperliche Folgen zeitweiliger sexueller Abstinenz. Auch der Vater des Kleinen Hans nahm an den Sitzungen teil.
Die Atmosphäre wurde bald aggressiv. Jeder wollte originell sein und einen bestimmten Gedanken zuerst gehabt haben, bevor er vielleicht kollektives Eigentum wurde. Anstatt mit Diplomatie und Zurückhaltung begegnete man einander feindselig. In den Debatten kam es zum Teil zu heftigen Konfrontationen. 1907 sagte Freud nach einer Sitzung (vom 6. März) zu Binswanger: »›So, haben Sie jetzt diese Bande gesehen?‹« (Freud/Binswanger, Briefwechsel, S. XXXIX)
Diese kleine Gruppierung bildete 1908 das Modell für die Wiener Psychoanalytische Vereinigung. Auch international diente sie als Prototyp. Anfangs musste jeder Anwesende mindestens einen Diskussionsbeitrag leisten; später wurden die Äußerungen freiwillig. Die Protokolle sind erhalten geblieben und wurden veröffentlicht. Die abendlichen Sitzungen fanden immer mittwochs statt, zunächst bei Freud und später am Ärztekolleg. Wie wir wissen, waren allein elf Abende dem Problem der Masturbation gewidmet.
Freud baute ein effizientes Kommunikationsnetzwerk auf. Zunächst in Form eines Rundbriefs; den ersten verschickte er am 7. Oktober 1920. Anfangs glich der Rundbrief die Abweichungen in der Korrespondenz der Mitglieder des Geheimkomitees aus und erschien einmal wöchentlich, später alle zehn oder vierzehn Tage. Er hielt alle Empfänger über wichtige Veränderungen in der Lehre oder über bestimmte Ereignisse auf dem Laufenden.
Mit dem Ende des Geheimkomitees verschwand auch der Rundbrief. 1909 wurde das Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen ins Leben gerufen; Jung war Chefredakteur. Hier veröffentlichte Freud die Fallgeschichte des Kleinen Hans. 1912 gründeten Otto Rank und Hans Sachs die Zeitschrift Imago. Sie wollte die Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften anwenden und hatte binnen kürzester Zeit zweihundertdreißig Abonnenten. Im folgenden Jahr ermöglichte Rank die Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse. 1919 kam es durch eine großzügige Spende von Anton von Freund – einem reichen Brauer, der sich dankbar zeigte, weil Freud ihn von seiner durch eine (letztlich tödliche) Krebserkrankung ausgelösten Neurose befreit hatte – endlich zur Gründung eines eigenen Verlags. Gründungsmitglied und Leiter des Internationalen Psychoanalytischen Verlags war erneut Otto Rank. Die Rundbriefe, die Zeitschriften und das Verlagshaus bildeten ein unabhängiges Mediennetzwerk der Psychoanalyse.
Hinzu kamen internationale Begegnungen auf Kongressen, die zugleich als Konzile fungierten, auf denen Freunde und Feinde identifiziert, die orthodoxe Lehre festgelegt und Abweichler enttarnt wurden. Außerdem kümmerte man sich dort um die generelle Ausrichtung der Disziplin: Am 26. April 1908 wurde in Salzburg die Entscheidung getroffen, das Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen zu gründen. Von den zweiundvierzig Anwesenden hielten neun Vorträge, darunter Freud, durch dessen Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose der Rattenmann später berühmt werden sollte. Am 30. und 31. März 1910 kam es zur Konfrontation
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