Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Freuds zu ihm nahe stehenden Analytikern prägte: Das Verhältnis beginnt mit einer Art Sublimierung und endet in einem düsteren Drama. Es reicht von »Geehrter Herr
Kollege«, wie Freud am 11. April 1906 an Jung schrieb (ebd., S. 3), über »Mein lieber Freund«, 21. Juni 1908 (ebd., S. 174), und »Lieber Freud und Erbe!«, 15. Oktober 1908, (ebd., S. 191) bis zu »Geehrter Herr Präsident«, 3. Januar 1913 (ebd., S. 598), das den Bruch ankündigte: »Ich schlage Ihnen also vor, daß wir unsere privaten Beziehungen überhaupt aufgeben.« (ebd., S. 599) Freud verströmte anfangs stets Liebenswürdigkeit und erklärte den einst geliebten Freund am Ende doch zum Geisteskranken.
Am 25. Juni 1931 schrieb Freud an Stefan Zweig, er habe bemerkt, dass Musiker ein seltsames Verhältnis zu ihren Fürzen hätten, welches man näher untersuchen müsse. Dieser Brief findet sich in Correspondance, übersetzt von Gisela Hauer und Didier Plassard (Rivages poche, 1991) [Stefan Zweig, Briefwechsel mit Hermann Bahr, Sigmund Freud, Rainer Maria Rilke und Arthur Schnitzler, hg. von Jeffrey B. Berlin, Hans-Ulrich Lindken und Donald A. Prater, S. Fischer, 1987]. Freud zeigte sich hier auch unzufrieden darüber, dass Zweig ihn in La Guérison par l’esprit (übersetzt von Alzir Hella und Juliette Pary, Livre de poche, 2003) [ Heilung durch den Geist, S. Fischer, 1982] mit Mesmer und Mary Baker Eddy in Zusammenhang gebracht hatte. Doch davon sagte er dem Autor nichts. Er erwähnte es stattdessen in einem Brief an dessen Namensvetter Arnold Zweig, der dieses Missfallen bezeugte (10. September 1930), und zwar in Correspondance S. Freud – A. Zweig (1927–1939), übersetzt von Luc Weibel und Jean-Claude Gehring, Gallimard, 1973 [Sigmund Freud/Arnold Zweig, Briefwechsel, hg. von Ernst L. Freud, S. Fischer, 1968].
Zur Politik, speziell zum Verhältnis von Psychoanalyse und Nationalsozialismus, geben einige Briefe an Eitington Auskunft. Sie finden sich in Correspondance (1906–1939) in der Übersetzung von Olivier Mannoni (Hachette, 2009) [Sigmund Freud/ Max Eitingon, Briefwechsel, 1906–1939, hg. von Michael Schröter, 2 Bde., edition diskord, 2004]. Für das Verständnis der Funktionsweise der Psychoanalyse als Institution sind sie unabdingbar.
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Dollfuß, Mussolini, Göring und Freud. Über Freuds politische Ansichten schweigen sich selbst jene Bücher aus, die explizit diesem Thema gewidmet sind. Man findet dort nichts über sein Verhältnis zu Mussolini, die Zusammenarbeit mit Matthias Göring, dem Leiter des Göring-Instituts, mit dem Freud und Eitington sich auf einen modus vivendi einigten. Deshalb kann man guten Gewissens auf die Lektüre von Paul Roazens Politik und Gesellschaft bei Sigmund Freud (Suhrkamp, 1971) und Gérard Pommiers wortreichem Freud apolitique? (Champs-Flammarion) verzichten. Sehr empfehlenswert ist dagegen Geoffrey Cocks beachtliche Untersuchung La Psychothérapie sous le IIIe Reich. L’ Institut Göring, übersetzt von Claude Rousseau-Davenet und Jean-Loup Roy, überarbeitet von Monica Romani (Les Belles Lettres). Über Psychotherapeuten, darunter Psychoanalytiker, ist dort zu lesen: »Selbst zu Zeiten der stärksten Verfolgung durch die Nazis konnten sie ihre Aktivitäten stets fortsetzen. Die ab 1933 herrschenden Bedingungen ermöglichten einigen Psychotherapeuten, einen institutionellen Status und eine Praxis zu erreichen, die sie zuvor nie erlangt hätten und die es seither in Deutschland nicht mehr gab.« (S. 16) Das Buch erschien in der Reihe »Confluents psychanalytiques«. Deren Leiter Alain de Mijolla hat damit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Psychoanalyse geleistet.
Das Schweigen über Freuds Mussolini gewidmete Ausgabe von Warum Krieg? ist die in diesem Zusammenhang häufigste Strategie: Man vermeidet das Thema und damit auch die Probleme. Vielleicht schweigt sich aus dem gleichen Grund auch Paul-Laurent Assouns Dictionnaire des œuvres psychanalytiques (PUF, 2009) darüber aus. Auf den 1468 Seiten werden alle Bücher Freuds (und auch Werke Melanie Kleins, Lacans, Jones’, Ranks etc.) nach dem gleichen Schema behandelt: Titel in der Originalsprache, Übersetzungen, verschiedene Ausgaben, Erscheinungsjahr und -ort, Einordnung in das Gesamtwerk, Erläuterung des
Titels, Entstehungsgeschichte des Texts, Kontext, Struktur, These, Argumentation, Konzepte, Beitrag zur klinischen Forschung, formale Charakteristika, Rezeption und Wirkung, zitierte und mit dem Text in Verbindung stehende
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