Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
darzustellen, aber auch eine unfassbar militante Haltung, die den Gebrauch und das Zitieren dieses Werks unmöglich machen. Zum Beispiel beschreibt der Autor in einem Kapitel, in dem er Freuds Lehre als Ursprung des sittlichen Verfalls unserer Zivilisation charakterisiert, die Achtundsechziger, die Marcuse, »Van Eigem« ( sic ), Foucault »und die ganze Truppe dreckiger Alternativer« gelesen hatten und »das öffentliche Suhlen im Schlamm, die gemeinschaftliche Liebe oder Kacken im Wohnzimmer in den Rang revolutionärer und befreiender Handlungen erheben«. Zwang lässt einen von ihnen zu Wort kommen: »Zieh deine Unterhose aus,
Idiotin, wir werden dir zeigen, was die sexuelle Revolution ist, und halt bloß die Klappe, die dreckigen Töchter der Bourgeoisie sind alle Komplizinnen der Ausbeuter, du hast noch Glück, dass wir mit dir rummachen wollen.« Da kann der Autor – ein Sexualwissenschaftler (!), Kunstliebhaber und fanatischer Hörer barocker Musik – an einer anderen Stelle in seinem Buch gern eine psychologische Alternative zur Psychoanalyse vorstellen – man zweifelt dennoch an seiner Seriosität.
Angeprangert wurde Pierre Debray-Ritzen mit La Scolastique freudienne von 1972, erschienen bei Fayard. Das Vorwort von Arthur Koestler, dem Debray-Ritzen ein Cahier de l’Herne gewidmet hatte, kritisiert Freuds Theorien und vergleicht sie mit veraltetem mittelalterlichem Denken. Dem fügt der Mandarin der medizinischen Psychiatrie hinzu, dass die Psychoanalyse entgegen Freuds Behauptungen keineswegs wissenschaftlich sei. Er wolle sich jedoch nicht mehr mit ihr beschäftigen. 1991 brach er mit diesem Vorsatz und veröffentlichte bei Albin Michel La Psychanalyse cette imposture. Denn sechzehn Jahre nach La Scolastique freudienne verströmte Freuds Lehre noch immer ihre illusionäre Kraft. Bei seinen Auftritten in der Fernsehsendung »Apostrophes« wetterte der Fliege tragende Autor von Lettre ouverte aux parents des petits écoliers gegen die moderne Zeit und kritisierte die Psychoanalyse aus neuropsychologischer Sicht. Der Biograph Claude Bernards und Vertreter der Experimentalmethode kritisierte die Schuldzuweisungen, die Eltern magersüchtiger Kinder vonseiten der Psychoanalyse erdulden müssen. Er hielt Legasthenie für genetisch bedingt und attackierte Bruno Bettelheim. Seine Äußerungen stehen immer noch auf der Website des »Groupement de recherche et d’étude pour la civilisation européenne«. Gegen Ende seines Lebens moderierte der Onkel Régis Debrays, der wohl einfach nicht anders konnte, eine Literatursendung auf Radio Courtoisie, einem eindeutig rechtsaußen positionierten Sender. Wie soll man unter diesen Bedingungen guten kritischen Argumenten zustimmen?
René Pommier veröffentlichte 2008 Sigmund est fou et Freud a tout faux (Éditions de Fallois), nachdem er sich 1987 mit Roland Barthes, ras le bol! als Kämpfer gegen das Intellektuellenidol aus Saint-Germain-des-Prés hervorgetan hatte. Der ehemalige Student der École Normale, Professor an der Sorbonne und Rationalist macht von der ersten Seite an klar, dass er mit Debray-Ritzen befreundet, jedoch bezüglich der kindlichen Sexualität noch stärker gegen Freud gerichtet ist als der Kinderpsychiater. Sein Remarques sur la théorie freudienne du rêve – so der Untertitel seiner Kampfschrift gegen Freud – hat es jedoch wie so viele andere Pamphlete auch nicht geschafft, den Lack anzukratzen, der das Idol bis heute schützt.
Ich muss ein paar Worte sagen zu Jacques Bénesteaus Mensonges freudiens (Mardaga, 2002). Auf dieses Buch mit dem Untertitel Histoire d’une désinformation séculaire trifft nichts zu, was ich über die zuvor zitierten Autoren äußern musste. Es enthält keine Polemik in der Tradition der Konservativen vor dem Zweiten Weltkrieg, keine Ironie oder persönliche Beleidigungen, keine Schuldzuweisungen an die heutige Psychoanalyse in Zusammenhang mit der postmodernen Dekadenz, keine Parteinahme – und das, obwohl der Autor, ein klinischer Psychologe, in der Wissenschaft tätig ist. Das Buch fasst die kritischen Untersuchungen über Freud zusammen und wird entsprechend boykottiert. Entweder durch Totschweigen (in Frankreich fand es keinen Verlag) oder durch den Vorwurf des Antisemitismus. Bénesteau kritisiert, dass Freud den Antisemitismus instrumentalisierte, indem er ihn als Ausrede für fehlende Anerkennung und Erfolg benutzte. Er zeigt, dass im damaligen Wien viele Juden wichtige Posten in Justiz,
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