Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Schatz« oder »meine Theure« vorbehalten blieben – und die seltsame Unterschrift »Dein Bruder Sigmund« (ebd., verschiedene Briefe). Indem er die Schwester seiner Verlobten verführte und sich als ihr Bruder darstellte, machte er aus seiner zukünftigen Frau und der zukünftigen Mutter seiner Kinder auch die eigene Schwester. Welch seltsame Konstruktion aus der Feder des Erfinders einer Wissenschaft,
welche die Schlüssel zum Unbewussten liefern will! Übrigens war Minna, während ihr zukünftiger Schwager ihr schrieb, selbst mit einem Freund Freuds verlobt. Er starb 1886 an Tuberkulose. Danach scheint Minna keine weitere Liebschaft, sexuelle oder eheliche Beziehung gehabt zu haben. Ende 1896 zog sie bei den Freuds ein und lebte dort dreiundvierzig Jahre lang.
    Jeder Leser von Zur Psychopathologie des Alltagslebens weiß, weshalb Minna ein ganz bestimmtes Zimmer in der Berggasse 19 bezog. Die Wohnung hatte siebzehn Zimmer, doch sie bewohnte ein Zimmer mit eigenem Bad, in das man ausschließlich über das Schlafzimmer der Freuds gelangte. Man kam also nur hinein oder hinaus, wenn man in den ehelichen Bereich des Psychoanalytikers eindrang. Minna hatte in der Wohnung auch einen Salon, in dem sie Gäste empfangen konnte. Dort hätte auch ein Schlafzimmer eingerichtet werden können, das sie oder ihre Gäste betreten und verlassen konnten, ohne ihre Schwester und ihren Schwager zu stören. Doch Freud kontrollierte auf diese Weise auch den Zugang zu Minnas Intimleben. »Tante Minnas« Zimmer war eine Art Appendix des Schlafzimmers von Freud und seiner Frau.
    Ernest Jones schrieb, Minna habe wundervollen Wandschmuck gestickt, gelesen, mit dem Hausherrn Karten gespielt und von allen geschätzte Epigramme entworfen. Freud habe sich natürlich niemals sexuell zu ihr hingezogen gefühlt. Laut Jones unternahm er »mit ihr gelegentlich, wenn seine Frau nicht abkömmlich war, kleine Ferienreisen. Das hat Anlaß zu der bösartigen und unwahren Behauptung gegeben, sie habe seine Frau aus seinem Herzen verdrängt.« (Jones, Sigmund Freud – Leben und Werk, Bd. I, S. 186) In der Theorie feierte Freud den Ehebruch als einzigen Ausweg aus der ehelichen Neurose, doch natürlich blieb es auch in diesem Fall bei der bloßen Theorie, und wer etwas anderes behauptet, ist missgünstig.
    Was ist mit den »kleinen Ferienreisen« gemeint? Die beiden fuhren nach Florenz, verbrachten eine Woche am Gardasee, kurten viermal im österreichischen Bad Gastein, reisten für siebzehn
Tage nach Rom, für eine Sommerfrische in die Alpen, verbrachten im August 1898 zwei Wochen in Tirol und im September 1900 eine Woche in Berchtesgaden. Im August und September 1902 reisten sie nach Rom und Neapel; im August 1903 waren sie wieder in Südtirol. Im August und September des folgenden Jahres erkundeten sie Athen, im September 1905 Norditalien. Im September 1907 waren sie erneut in Rom, das Jahr darauf in Südtirol, wohin sie erneut im September 1913 reisten. Das waren in der Tat ein paar »kleine Ferienreisen«.
    Peter Gay erzählt von einem wenig rühmlichen Moment in Freuds Eheleben: »Im Sommer 1919, während sich seine Frau in einem Sanatorium erholte, verbrachte Freud einen Monat in seinem österreichischen Lieblingskurort, Bad Gastein. Seine Schwägerin Minna begleitete ihn. Er fühlte sich ein wenig schuldig, weil er einen so teuren Ort gewählt hatte, rechtfertigte es aber mit der Begründung, dass es die kommende kalte Jahreszeit erfordere, so viel Erholungskraft wie möglich zu speichern.« ( Freud. Eine Biographie, S. 431) Martha erholte sich im Sanatorium gerade von der Spanischen Grippe, einer Epidemie, an der 15 000 Menschen in Wien und mindestens 30 Millionen Menschen in Europa starben.
    Doch die Hagiographen stützen Jones’ Legendenbildung und stellen die Reisen als ganz und gar harmlose Angelegenheit dar. Wir wissen nun, was unter »kleinen Ferienreisen« zu verstehen ist. So können wir uns auch denken, was er meinte, wenn er schrieb, Martha sei »nicht abkömmlich« gewesen. Freuds Reisebriefen fehlt es nicht an Zynismus. Seiner Frau, die bei den Kindern geblieben ist, erzählte er von dem angenehmen Urlaub mit Minna, vom schönen Wetter, hübschen Gletschern, fantastischen Wanderungen, herrlichen Landschaften, gemütlichen Hotels, anspruchsvollen Konzerten, perfekter Küche und Entspannung.
    Der oft so melancholische oder depressive Freud ließ seine Frau hautnah an dem Glück teilhaben, das er fern von ihr erlebte. Und sollte die

Weitere Kostenlose Bücher