Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Botschaft bei Martha nicht angekommen sein,
fügte ihre Schwester hinzu: »Wir wären also glücklich so weit, jede Nacht in einem anderen Bett zu schlafen [ sic ], was ja Sigis Ideal ist [nochmals sic ]. Er sieht unberufen großartig aus und ist kreuzfidel, natürlich ganz ruhelos.« (Zusatz von Minna Bernays zu einem Brief von Freud an Martha, 6. August 1898, Unser Herz zeigt nach dem Süden. Reisebriefe 1895–1923, S. 101) Vielleicht hat Minna später Zur Psychopathologie des Alltagslebens gelesen.
Der junge Sigmund sagte seiner späteren Frau, sie sei nicht hübsch, erzählte ihr, er könne Charcots Tochter den Hof machen, verbot ihr, die eigenen Cousins beim Vornamen zu nennen oder mit unverheirateten Männern zu sprechen, und bekannte, schrecklich eifersüchtig zu sein, womit sie aber leben müsse. Er schrieb der Daheimgebliebenen fröhliche Postkarten aus dem Urlaub. Auf diesen ließ er oft Platz für kleine Texte seiner Schwägerin. Am 10. August 1898 schrieb Minna: »Ich paradiere endlich im Flanellkleid und sämtlichen Schmückern, und Sigi findet mich natürlich [ sic ] immer hochelegant, ob auch die andern, weiß ich nicht« (ebd., S. 107). Währenddessen kümmerte sich Martha um die drei Söhne und die drei Töchter.
Die Hagiographen beschimpfen jeden, der in solchen Dingen den Beweis für eine körperliche Beziehung zwischen Minna und Sigmund sieht. Und sie vermeiden den Verweis auf Jung, den Freud in einem Brief vom 26. Dezember 1908 zu den Ariern zählte: »Unsere arischen Genossen sind uns doch ganz unentbehrlich, sonst verfiele die Psychoanalyse dem Antisemitismus.« (Freud/ Abraham, Briefe (1965), S. 73) Jung gilt den Hagiographen als Verräter, weil er nicht blind Freuds gesamter Theorie anhing. So sind ihnen alle Äußerungen Jungs suspekt. Dabei hatte er Interessantes über Freuds Beziehungen zu seiner Schwägerin zu sagen. 1907 besuchte Jung Freud in Wien und lernte Minna kennen. Manchmal meldete sie sich am Telefon als »Frau Freud«.
Peter Gay schildert, was Jung einem Journalisten anvertraute: »Sie war sehr hübsch, und sie wusste nicht nur genug über die
Psychoanalyse, sondern über alles, was Freud tat. Als ich einige Tage darauf Freuds Laboratorium besuchte, fragte mich Freuds Schwägerin, ob sie mit mir sprechen könne. Von ihr erfuhr ich, daß sie in Freud verliebt war und daß ihre Beziehung tatsächlich sehr intim war.« ( Freud. Eine Biographie, S. 837) Jung betonte, er sei sehr enttäuscht gewesen.
Zwei Jahre später waren Freud und er zu einem siebenwöchigen Forschungsaufenthalt in den USA eingeladen. Gegenseitig analysierten sie ihre Träume. Freud träumte viel von der Dreiecksbeziehung mit seiner Frau und seiner Schwägerin. Er wusste nicht, dass Minna Jung alles erzählt hatte. Jung schlug vor, Freud solle nach dem Assoziationsprinzip vorgehen und alles erzählen, was ihm bezüglich des Dreiecks durch den Kopf gehe. »Er [Freud] sah mich voll Bitterkeit an und sagte: ›Ich könnte Ihnen mehr sagen, aber ich kann meine Autorität nicht riskieren.‹« (ebd.) Übrigens machte Jung diese Geschichte mehrfach öffentlich, ohne dass Freud sie je dementierte.
V.
Taufen, Benennen, Bestimmen
»Du hast doch nichts dagegen,
wenn ich meinen nächsten Sohn Wilhelm heiße!
Wenn er ein Mädchen wird, ist Anna für sie vorgemerkt.«
Sigmund Freud, Brief an Wilhelm Fließ, 20. Oktober 1895
( Briefe an Wilhelm Fließ, S.151)
Mit seiner Frau Martha hatte Freud sechs Kinder, drei Jungen und drei Mädchen. Natürlich durfte seine Frau bei der Namenswahl nicht mitreden, und Freud wählte immer solche Namen, denen innerhalb seiner Privatmythologie eine bestimmte Bedeutung zukam. Die Mutter seiner Kinder hatte sich da herauszuhalten. Das erste Kind, geboren am 16. Oktober 1887, war ein kleines Mädchen, das Mathilde genannt wurde – zu Ehren Mathilde Breuers, der Frau seines Lehrers Josef Breuer. Von diesem wusste er in der in den USA gehaltenen Vorlesung Über Psychoanalyse (1909) viel Gutes zu erzählen. Freud, der die Amerikaner hasste, nahm die Ehrendoktorwürde der Clark University in Worcester mit Tränen in den Augen entgegen.
Für die Vorlesung hatte er sich bei einem nachmittäglichen Spaziergang im Park nur einige Notizen gemacht und ansonsten improvisiert. Er trug vor: »Wenn es ein Verdienst ist, die Psychoanalyse ins Leben gerufen zu haben, so ist es nicht mein Verdienst. Ich bin an den ersten Anfängen derselben nicht beteiligt gewesen. Ich war Student und mit der
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