Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Ablegung meiner letzten Prüfungen beschäftigt, als ein anderer Wiener Arzt, Dr. Josef Breuer, dieses Verfahren zuerst an einem hysterisch erkrankten Mädchen anwendete (1880 bis 1882).« ( Über Psychoanalyse, Bd. VIII, S. 3)
Doch in seinem Beitrag zur Geschichte der psychoanalytischen
Bewegung von 1914 kam Freud noch einmal auf die Entstehungsgeschichte zurück. Hier begegnen wir nun dem Mann, der seine geistigen Ahnen ablehnte und verleugnete, der vehement jeden Einfluss von außen bestritt. Wir sehen den Sophisten, der sich auf die Kryptomnesie berief, um eventuelle, angeblich vergessene theoretische Anleihen zu rechtfertigen und zu legitimieren. Er verwarf die einstige Hommage an Breuer und machte seinen damaligen Geisteszustand dafür verantwortlich: Die Gefühle hätten ihn übermannt … Tatsächlich berichteten Zeugen von Freuds emotionaler Reaktion bei der Verleihung seiner amerikanischen Ehrenurkunde. Freud erwähnte nun »wohlmeinende Freunde« ( Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, Bd. X, S. 45). Sie hätten ihn darauf hingewiesen, dass die Psychoanalyse nicht mit Breuers kathartischer Methode begonnen habe, sondern mit der Abkehr von der Hypnose und der Theorie des freien Assoziierens. Also mit ihm!
So wurde Breuer vom Erfinder zum Koautor der Psychoanalyse – eine These, die Freud von nun an vertrat. Die Beleidigungen und Vorwürfe sah er als Beleg dafür, dass er tatsächlich der Erfinder der Disziplin war. Und er fügte hinzu, dass Breuer ihn in seinen Arbeiten über die Hysterie stets zitiere, wenn es um die Frage der Konversion gehe. Auch dies sah er als Beweis für die gemeinsame Autorschaft. Doch schließlich gründete er die Psychoanalyse auf den Fall der Anna O., den Untersuchungsgegenstand der Studien über Hysterie: Von 1914 an behauptete Freud, Anna O., die in Wahrheit Bertha Pappenheim hieß, sei von Breuer schlecht analysiert worden. Dieser habe nicht bemerkt, dass die hysterische Schwangerschaft dem Phänomen der Übertragung geschuldet war, während Freud die sexuelle Natur der Neurose begriffen und die Patientin geheilt habe. Doch dies war nicht der Fall.
Seine Version der Geschichte präsentierte Freud auch in »Selbstdarstellung«. Der vierzehn Jahre ältere Breuer sei für ihn sehr wichtig gewesen. Er habe ein enges Verhältnis zu Breuer gehabt, und dieser sei ihm in schwierigen Situationen mehrmals
zur Seite gestanden. Der Jüngere bekannte also, in der Schuld des Älteren zu stehen – doch ein solches Eingeständnis lief seinem Stolz zuwider. Hatte er 1909 in Über Psychoanalyse Breuer noch als Erfinder der Disziplin bezeichnet, sagte er schon 1914: »Denn die Psychoanalyse ist meine Schöpfung« ( Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, Bd. X, S. 44). 1924 behauptete er dann: »Die Entwicklung der Psychoanalyse hat mich dann seine Freundschaft gekostet. Es wurde mir nicht leicht, diesen Preis dafür zu zahlen, aber es war unausweichlich.« ( »Selbstdarstellung«, Bd. XIV, S. 43 f) Mit anderen Worten: Wenn der Schüler den Lehrer überholt, stellt er den Lehrer natürlich in den Schatten und verärgert ihn damit.
Freud nannte einen weiteren Grund für den Bruch der Freundschaft: Als die beiden 1895 gemeinsam die Studien über Hysterie vorlegten, habe Breuer Schwächen gezeigt: »Sein Selbstvertrauen und seine Widerstandsfähigkeit standen nicht auf der Höhe seiner sonstigen geistigen Organisation.« ( Selbstdarstellung , Bd. XIV, S. 48) Schließlich sei die Freundschaft an einem Verriss ihres Buchs zerbrochen: Freud »konnte […] über die verständnislose Kritik lachen, er aber kränkte sich und wurde entmutigt.« (ebd.) Und weil er merkte, dass dieses Argument allein nicht ausreichte, fügte er hinzu: »Am meisten trug aber zu seinem Entschluß bei, daß meine eigenen weiteren Arbeiten eine Richtung einschlugen, mit der er sich vergeblich zu befreunden versuchte.« (ebd.)
Natürlich verschwieg Freud den wahren Grund für den Bruch der Freundschaft. Viele Jahre lang hatte Breuer seinen Schüler finanziell unterstützt. Als Freud zu Reichtum gelangt war, wollte er das Geld zurückzahlen, und Breuer lehnte ab. Dies beschämte und ärgerte Freud. Aber auf Breuer wirkte Freuds Angebot, seine Schulden zu begleichen, wie eine Kriegserklärung. Hätte er es angenommen, wäre das beschämend für ihn gewesen, und seine Ablehnung beschämte Freud. Wann immer es um Geld ging, das Freud auch gern als »Scheiße« bezeichnete, kam am Ende ein Gewinn für den
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