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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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durchzusetzen. Daher konzentrierte ich mich auf das, was einen intelligenten Anti-Studenten ausmacht: Er muss Autodidakt sein, also ein Mann mit echtem Wissen, nicht einer dieser Schüler, die im libanesischen Dialekt »Schlucker« genannt werden, weil sie »Unterrichtsstoff schlucken«, und deren Wissen sich ausschließlich vom Lehrplan ableitet. Entscheidend war nicht der Stoff, der die Grundlage für die offiziellen Abituraufgaben bildete; die Themen, die alle mit lediglich kleinen Variationen kannten, die sich dann in große Unterschiede bezüglich der Noten umsetzten. Entscheidend war vielmehr genau das, was außerhalb lag.
    Die einen sind in einer strukturierten Umgebung intelligenter als die anderen – faktisch muss man wohl im Bereich Schule von einer Selektionsverzerrung sprechen, denn dort werden diejenigen favorisiert, die in einer solchen Umgebung schneller sind, und wie alles, was unter Wettbewerbsbedingungen stattfindet, geht diese bessere Leistung innerhalb des schulischen Bereichs auf Kosten der Leistung außerhalb. Obwohl ich noch keine Erfahrung mit Fitnessstudios hatte, sah meine Vorstellung von Wissen folgendermaßen aus. Jemand, der Kraft aufbaut, indem er diese modernen teuren Fitnessgeräte benutzt, kann mehrmals hintereinander extrem große Gewichte heben und eindrucksvolle Muskeln entwickeln, schafft es aber nicht, einen schweren Stein aufzuheben; in einem Straßenkampf würde er von Leuten, die im Umgang mit unstrukturierteren Situationen trainiert sind, mit Sicherheit zusammengeschlagen. Die Kraft der Besucher eines Fitnessstudios ist ausgesprochen bereichsspezifisch, und dieser Bereich ist begrenzt auf ludische, also extrem organisierte Konstrukte. Faktisch ist ihre Stärke, ähnlich wie bei überspezialisierten Athleten, das Ergebnis einer Deformierung. Ich dachte, dass es sich ähnlich verhält mit Leuten, die dafür ausgewählt werden, in einigen wenigen Fächern Spitzennoten zu erzielen, anstatt ihrer eigenen Neugier zu folgen: Wenn man sie nur minimal von dem entfernt, was sie studiert haben, machen sich sofort Anzeichen von Auflösung, Verunsicherung und Verweigerung bemerkbar. (Ähnlich wie bei leitenden Angestellten, die aufgrund ihrer Fähigkeit ausgewählt werden, die Langeweile von Konferenzen auszuhalten, wurden viele dieser Personen aufgrund ihrer Fähigkeit ausgewählt, sich auf langweiligen Unterrichtsstoff zu konzentrieren.) Ich habe mit vielen Wirtschaftswissenschaftlern diskutiert, die sich angeblich auf Risiko und Wahrscheinlichkeit spezialisiert haben: Wenn man ihr begrenztes Spezialgebiet verlässt, dabei aber immer noch innerhalb des Fachs Wahrscheinlichkeit bleibt, dann brechen sie zusammen, mit dem unglücklichen Gesichtsausdruck eines regelmäßigen Fitnessstudiobesuchers, der sich mit einem Auftragskiller konfrontiert sieht.
    Ein Autodidakt im strengen Sinn war ich nicht, denn ich schaffte meine Abschlüsse; ich war eher ein Hantelautodidakt: Ich studierte nur gerade so viel, um eine Prüfung zu bestehen, wobei ich hin und wieder etwas über das Ziel hinausschoss, andererseits nur wenige Male Schwierigkeiten bekam, weil ich hinter den Erwartungen zurückblieb. Aber ich verschlang massenhaft Bücher, zunächst aus den Geisteswissenschaften, später mathematische und naturwissenschaftliche Werke, heute Geschichte – außerhalb eines Lehrplans, also sozusagen ohne Fitnessgerät. Ich war sicher, das, was ich mir selbst aussuchte, tiefer und breiter lesen und verstehen zu können, da eine innere Verbindung zu meiner Neugier bestand. Außerdem profitierte ich, indem ich natürliche Stimulierung als Hauptantrieb des Lernens benutzte, von der psychischen Verfassung, die später als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ( ADHS ) pathologisiert wurde. Damit ich es sinnvoll fand, bei einer Sache zu bleiben, musste das Vorgehen frei von Anstrengung sein. Sobald ich von einem Buch oder einem Thema gelangweilt war, schaltete ich auf ein anderes um, ohne mit dem Lesen aufzuhören – wenn man es nur mit dem Schulstoff zu tun hat und Langeweile empfindet, besteht die Gefahr, dass man ganz aufgibt und gar nichts mehr tut oder sogar aus dem Gefühl von Entmutigung heraus die Schule schwänzt. Der Trick besteht darin, zwar von einem bestimmten Buch gelangweilt zu sein, nicht aber vom Akt des Lesens an sich. Bei einem solchen Vorgehen wächst die Anzahl an gelesenen Seiten schneller, und man stößt gewissermaßen auf Gold, ganz ohne Anstrengung, genau wie in rationaler,

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