Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
er einfach beiseitewischte – und ich ahnte, dass es da anfing, interessant zu werden, wo der Professor aufhörte. Ich begriff, dass da irgendwo ein Betrug versteckt war, dass »Six Sigma«-Ereignisse (die Messung sehr seltener Ereignisse) grob falsch berechnet wurden und dass den Berechnungen jede Basis fehlte, aber ich konnte meine Ahnung nicht klar artikulieren und wurde von Leuten, die mich mit komplizierten Berechnungsmethoden einnebelten, ziemlich gedemütigt. Ich sah die Grenzen der Wahrscheinlichkeit deutlich vor mir, fand aber keine Worte, mit denen ich mein Problem hätte darstellen können. Ich ging also wieder einmal in eine Buchhandlung (das Internet gab es damals noch nicht) und bestellte nahezu sämtliche Bücher, die das Wort »Wahrscheinlichkeit« oder »Stochastik« im Titel führten. Einige Jahre lang las ich nichts anderes, keine Seminarunterlagen, keine Zeitung, keine Romane, nichts. Ich las im Bett, wechselte von einem Buch zum nächsten, wenn ich mich irgendwo festgefahren hatte mit etwas, das mir nicht sofort einleuchtete oder mich langweilte. Und ich hörte nicht auf, Bücher zu diesen Themen zu bestellen. Ich gierte danach, tiefer in das Problem geringer Wahrscheinlichkeiten vorzudringen. Es strengte mich nicht an. Das war meine beste Investition – der Risikobereich stellte sich als die Thematik heraus, die ich am besten beherrschte. Fünf Jahre später hatte ich ausgesorgt, und mittlerweile arbeite ich in der Forschung zu diversen Aspekten von Ereignissen geringer Wahrscheinlichkeit. Wenn ich das Thema in fertig abgepackten Häppchen studiert hätte, hätte ich jetzt die Gehirnwäsche hinter mir, die einen zu der Annahme verleitet, Ungewissheit sei ein Phänomen, das nur in Casinos auftritt, und anderes dieser Art. Es gibt so etwas wie angewandte Mathematik, die mit der Mathematik von Nerds nichts zu tun hat: Man finde zuerst ein Problem und mache sich dann auf die Suche nach der Mathematik, die dazu passt (so wie man eine Sprache erwirbt). Das ist bei weitem effektiver, als sich in einem Vakuum durch Theoreme und künstliche Beispiele hindurchzustudieren und später die Realität diesen Beispielen anzupassen.
In den 1980er Jahren saß ich einmal mit einem berühmten Spekulanten beim Dinner zusammen, einem sehr erfolgreichen Mann. Er murmelte eine Bemerkung vor sich hin, die den Nagel auf den Kopf traf: »Vieles von dem, was andere wissen, ist es nicht wert, gewusst zu werden.«
Bis heute sagt mir mein Instinkt, dass das wirklich wertvolle Wissen, das man für einen Beruf braucht, zwingend außerhalb des vorgegebenen Lehrstoffs liegt, so weit entfernt von dessen zentralen Inhalten wie möglich. Wenn ich bei der Auswahl meiner Lektüre meiner eigenen Richtung folge, führt das zu einem Zentrum eigener Art: Was man mir in der Schule als Lernstoff vorlegte, habe ich vergessen; was ich aufgrund eigener Entscheidung gelesen habe, erinnere ich noch.
Kapitel 17
Fat Tony diskutiert mit Sokrates
Frömmigkeit für die Unfrommen – Fat Tony trinkt keine Milch – Man sollte einen Dichter immer bitten, seine Dichtung zu erklären – Mystagogischer Philosophaster
Fat Tony ist fest davon überzeugt, dass es gerechtfertigt war, Sokrates zum Tod zu verurteilen.
In diesem Kapitel werde ich die Darstellung des Unterschieds zwischen erzähltem, unmittelbar nachvollziehbarem Wissen einerseits und andererseits der undurchschaubareren Art, die ganz auf Tüfteln beruht, abschließen – also der beiden Spalten von Tabelle 4, die den Unterschied zwischen narrativem und nicht-narrativem Handeln vorstellt. Es geht wieder einmal um den Denkfehler beziehungsweise die Annahme, alles habe einen Grund , der uns zugänglich ist und den wir ohne Weiteres verstehen könnten.
Doch die gravierendste Verwechslung im Leben besteht darin, das Nicht-Intelligible für nicht intelligent zu halten – etwas, das Nietzsche herausgefunden hat. In gewisser Weise ähnelt das dem Truthahn-Problem: Man hält das, was man nicht sieht, für nicht existent, was wiederum seinerseits verschwistert ist mit der Verwechslung der Abwesenheit eines Beweises mit dem Beweis einer Abwesenheit.
Seit dem Beginn des goldenen Zeitalters der Philosophie fallen wir auf das Grünholzproblem herein – Aristoteles interpretierte die Quelle des Erfolgs von Thales falsch; und nun kommen wir zu Sokrates, dem Größten unter den großen Meistern.
Euthyphron
Platon formulierte seine Ideen hauptsächlich durch die Darstellung einer Person, die
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