Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
großen Menge von Redundanzen bedarf, damit alles richtig funktioniert. Und derselbe Irrtum liegt ja der Invasion im Irak zugrunde: In einem derart komplexen System ist die Vorhersagbarkeit der Folgen äußerst gering, die Invasion war also vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus unverantwortlich.
Natürliche Systeme und die Gesellschaftssysteme der Antike funktionierten mittels Strafen: Niemand hatte das Recht, kontinuierlich freie Optionen zu haben, das heißt, ständig machen zu können, was er wollte. Genau so verfährt die Gesellschaft heute bei vielen Dingen, die sichtbare Auswirkungen haben. Wenn jemand mit verbundenen Augen einen Schulbus fährt und ein Unfall passiert, wird er entweder auf die altmodische Art den Genpool verlassen, oder es werden über ihn, wenn er aus irgendeinem Grund unbeschadet aus dem Unfall hervorgeht, Strafen verhängt, die verhindern, dass er je wieder andere Menschen transportiert. Fatalerweise fährt der Journalist Thomas Friedman den Bus allerdings nach wie vor. Für Meinungsmacher, die die Gesellschaft schädigen, gibt es keine Strafen – eine miserable Praxis. In der Regierung von Präsident Obama wimmelte es nach der Krise des Jahres 2008 von Leuten, die den Bus mit verbundenen Augen gefahren hatten. Die Iatrogeniker wurden befördert.
Postgnostik
Wörter sind gefährlich: Postgnostiker, die etwas erklären, nachdem es geschehen ist, sehen – weil sie professionelle Erklärer sind – immer schlauer aus als Prognostiker.
Wegen der verzerrten Wahrnehmung bei der Rückschau auf vergangene Ereignisse erinnern sich Menschen, die natürlich überhaupt nichts kommen sahen, hinterher an irgendeinen Gedanken, in dem diese Möglichkeit vielleicht ansatzweise doch vorkam, und erst überzeugen sie sich dann selbst davon, dass sie etwas hätten kommen sehen, bevor sie schließlich auch andere davon überzeugen. Nach jedem Ereignis treten im Vergleich zu den wirklichen Prognostikern sehr viel mehr Postgnostiker auf – Menschen, die unter der Dusche irgendwann einmal ein Gedanke angewandelt hat, den sie allerdings nicht zu Ende gedacht haben. Und da viele Menschen häufig unter der Dusche stehen, sagen wir im Schnitt fast zweimal pro Tag (rechnet man das Fitnessstudio und das Intermezzo bei der Geliebten mit dazu), dann haben sie einen breiten Fundus, aus dem sie schöpfen können. Doch sie erinnern sich nicht an all die so entstandenen Ideen, die entweder nichts als Rauschen waren oder dem gegenwärtigen Ereignis diametral widersprachen – da Menschen nach Selbstkonsistenz streben, behalten sie nur das im Gedächtnis, was mit ihrer Wahrnehmung der Gegenwart übereinstimmt.
Meinungsmacher, die derart selbstbewusst und professionell nichts als Leerlauf produzieren, werden irgendwann einfach nur aus dem Grund den Eindruck erwecken, sie hätten eine Auseinandersetzung gewonnen, weil sie diejenigen sind, die schreiben; und Dummköpfe, die in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie ihre Erzeugnisse gelesen haben, werden in Zukunft genau hier wieder nach Orientierung Ausschau halten und erneut in Schwierigkeiten geraten.
Die Vergangenheit ist aufgrund von Selektionsfehlern und Erinnerungen, die einer permanenten Revision unterworfen sind, unklar und verzerrt. Eine zentrale Eigenschaft von Dummköpfen ist, dass ihnen nie aufgehen wird, dass sie Dummköpfe waren, denn so arbeitet der menschliche Geist nun einmal. (Dabei ist folgender Umstand allerdings erstaunlich: Für die Fragilistenkrise, die in den Jahren 2007/2008 begann, gab es sehr, sehr viel weniger fast richtig liegende Prognostiker als sonst.)
Die Asymmetrie (die Antifragilität der Postgnostiker): Postgnostiker können sich nach Belieben die Rosinen herauspicken und Belege produzieren, in denen sich ihre Meinungen bestätigen, und ihre falschen Prognosen im Gedärm der Geschichte verschwinden lassen. Es ist wie eine freie Option – für sie; und wir müssen dafür bezahlen.
Da sie die Option haben, sind die Fragilisten selbst antifragil, zumeist profitieren sie von Volatilität: Je größer die Volatilität, desto bestechender die Illusion von Intelligenz.
Allerdings gibt es eine einfache Methode, um herauszufinden, ob jemand ein Dummkopf war oder nicht – indem man nämlich auf das schaut, was er getan hat. Handlungen sind symmetrisch, bei ihnen ist keine Rosinenpickerei möglich, die freie Option entfällt. Wenn man sich anschaut, wie jemand in der jüngsten Vergangenheit gehandelt hat, anstatt zu verfolgen, welche
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