Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Weise im Klaren sind, und die, werden ihre Machenschaften später aufgedeckt, dann abtauchen. Auf der anderes Seite gibt es die wesentlich heimtückischere Form von Iatrogenie: Sie wird verursacht von Experten, die ihre Stellung in der Gesellschaft nutzen, um später zu behaupten, sie hätten vor den schädlichen Folgen gewarnt. Da ihnen nicht klar ist, dass sie Iatrogenie verursachen, heilen sie Iatrogenie mit Iatrogenie. Und dann bricht alles zusammen.
Folgendes Heilmittel bei vielen ethischen Problemen ist gleichzeitig genau das, was gegen den Stiglitz-Effekt hilft:
Fragen Sie eine Person nie nach ihrer Meinung, nach ihrer Prognose oder nach ihrem Rat. Fragen Sie nur danach, was sie in ihrem Portfolio hat – oder nicht hat.
Bekanntlich haben schon viele unschuldige Rentner aufgrund der Inkompetenz der Ratingagenturen empfindliche Einbußen hinnehmen müssen – dabei war es im Grunde mehr als nur Inkompetenz. Viele zweitklassige Kredite waren nichts als giftiger Abfall, getarnt als » AAA «, was einen Grad an Sicherheit suggeriert, der schon fast dem der Regierung gleichkommt. Ahnungslose Menschen wurden dazu verführt, ihre Ersparnisse dafür einzusetzen – und Portfoliomanager wurden von Regulatoren gezwungen, die Gutachten zu verwenden, die von den Ratingagenturen erstellt wurden. Und Ratingagenturen sind geschützt: Sie stellen sich zwar als Presse dar – allerdings haben sie nicht die vornehme Aufgabe der Presse, Betrugsfälle aufzudecken. Außerdem profitieren sie vom Recht auf freie Rede, vom »Ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten«, der im amerikanischen Bewusstsein so tief verwurzelt ist. Mein bescheidener Vorschlag: Jeder soll sagen dürfen, was er will, doch sein Portfolio muss mit seinen Aussagen vereinbar sein. Und natürlich dürfen Regulatoren nicht zu Fragilisten werden, indem sie prognostische Methoden – also Ausschusswissenschaft – absegnen.
Der Psychologe Gerd Gigerenzer liefert eine einfache Heuristik. Fragen Sie einen Arzt nie, was Sie tun sollten. Fragen Sie ihn, was er tun würde, wenn er in Ihrer Lage wäre. Sie werden sich wundern, welche Unterschiede da zutage treten.
Das Frequenzproblem oder: Wie man in Streitgesprächen unterliegt
Der Leser wird sich daran erinnern, dass es Fat Tony egal war, ob er recht hatte oder nicht – er wollte lediglich »Kohle machen«. Dieser Umstand hat eine statistische Dimension. Kehren wir kurz zur Unterscheidung zwischen dem Thalesianischen und dem Aristotelischen zurück und werfen wir einen Blick auf die Evolution. Die Frequenz, also die Frage, wie oft jemand recht hat, ist in der realen Welt weitgehend irrelevant, allerdings bedarf es, um auf diese Einsicht zu kommen, leider eines Praktikers und nicht eines Menschen, der sich vor allem aufs Reden versteht. Auf dem Papier spielt es eine Rolle, wie häufig man recht hatte, aber auch nur dort – bezeichnenderweise haben fragile Ergebnisse nur geringe (manchmal überhaupt keine) Vorteile, und antifragile Ergebnisse haben kaum Nachteile. Das heißt, im fragilen Fall gewinnt man Pennys und verliert Dollar; im antifragilen Fall verliert man Pennys und gewinnt Dollar. Der Antifragile kann also problemlos über längere Zeit Verlust machen, wenn er nur ein einziges Mal recht behält; für den Fragilen kann ein einziger Verlust den Absturz bedeuten.
Entsprechend gilt: Wenn Sie beispielsweise auf den Verfall eines Portfolios diverser Finanzinstitute (aufgrund von deren Fragilität) setzen, dann würde Sie das in den Jahren vor dem endgültigen Zusammenbruch dieser Institute 2008 lediglich Pennybeträge kosten – so war ja die Vorgehensweise von Nero und Tony. (Die andere Seite der Fragilität macht Sie bekanntlich antifragil.) Jahrelang lagen Sie falsch und einen Moment lang richtig – Sie haben wenig verloren und sehr viel gewonnen, sind also im Vergleich zur entgegengesetzten Vorgehensweise unendlich viel erfolgreicher (faktisch bedeutet die entgegengesetzte Vorgehensweise den Ruin). Sie hätten also wie Thales die Thekel eingestrichen, denn das Setzen gegen das Fragile ist antifragil. Aber jemandem, der das Ereignis lediglich mit Worten »vorhergesagt« hat, würden die Journalisten vorwerfen, er habe sich »jahrelang« oder »die meiste Zeit geirrt«.
Würden wir aufgefordert, Buch zu führen über die Fälle, in denen Meinungsmacher jeweils »richtig« oder »falsch« lagen, dann hätte das Verhältnis keine Aussagekraft, wenn wir nicht die Konsequenzen mit
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