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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Dinge vorhergesagt hätte, sondern darüber hinaus Teil des Problems, das die Ereignisse – diese Akkumulation von Risiken geringer Wahrscheinlichkeit – verursachte. Allerdings realisierte er das nicht! Ein Akademiker ist nun einmal nicht so veranlagt, dass er sich an seine früheren Meinungen erinnert, denn es steht für ihn ja nichts auf dem Spiel.
    Im Kern geht es darum, dass Menschen dann gefährlich sind, wenn sie dieses befremdliche Fachwissen haben, das es ihnen zwar ermöglicht, ihre Aufsätze in Zeitschriften zu veröffentlichen, das aber gleichzeitig zur Verringerung ihres Risikoverständnisses führt. Derselbe Wirtschaftswissenschaftler, der das Problem verursachte, hat also später die Krise postgnostiziert und entwickelte sodann eine Theorie über das, was geschehen war. Kein Wunder, dass die Krisen immer größer werden.
    Und der springende Punkt ist ja: Wenn Stiglitz ein Geschäftsmann wäre, der sein eigenes Kapital einbringt, dann hätte die Krise sein Ende bedeutet. Oder – stellt man sich denselben Vorgang in der Natur vor – seine Gene würden aufhören zu existieren. Menschen mit einem derart falschen Verständnis von Wahrscheinlichkeit würden irgendwann aus der DNA der menschlichen Gattung verschwinden. Befremdlich fand ich die Tatsache, dass die Regierung einen seiner Koautoren eingestellt hat. 90
    Ich bringe dieses Syndrom nur widerstrebend mit dem Namen Stiglitz in Verbindung, denn ich halte ihn für den klügsten Wirtschaftswissenschaftler überhaupt; er besitzt den schärfsten Verstand, wenn es darum geht, Zusammenhänge auf dem Papier darzustellen – nur leider hat er eben keine Ahnung von der Fragilität von Systemen. Und Stiglitz symbolisiert die gefährliche Unterschätzung kleiner Wahrscheinlichkeiten, die für das volkswirtschaftliche Establishment typisch ist. Das ist eine schlimme Krankheit, und es erklärt, warum uns die Wirtschaftswissenschaftler wieder in den Abgrund reißen werden.
    Das Stiglitz-Syndrom entspricht der übelsten Art der Rosinenpickerei insofern, als der Täter nicht merkt, was er tut. Und nicht genug damit, dass es ihm nicht gelingt, eine Gefahr auszumachen, er trägt darüber hinaus auch noch zu dem Grund für diese Gefahr bei, indem er sich selbst – und manchmal auch andere – vom Gegenteil überzeugt: dass er nämlich die Gefahr vorausgesehen und vor ihr gewarnt habe. Dem entspricht eine Kombination aus bemerkenswerten analytischen Fähigkeiten, Blindheit für Fragilität, selektiver Erinnerung und dem Umstand, dass er selber nichts aufs Spiel gesetzt hat.
    Stiglitz-Syndrom = Fragilist (ohne bösen Willen) +
nachträgliches Rosinenpicken
    Aus diesem Fall lässt sich zudem lernen, welche Folgen es hat, dass es keine Bestrafung gibt. Wir haben hier ein besonders gravierendes Beispiel für die Klasse von Akademikern vor uns, die Aufsätze verfassen und reden (wobei ich die Akademiker ausnehme, die mit ganzer Seele dabei sind). Viele Wissenschaftler stellen im einen Aufsatz eine Behauptung auf, und in ihrer nächsten Veröffentlichung steht dann das genaue Gegenteil, ohne dass es für sie negative Konsequenzen hätte – ihre Argumentation muss lediglich innerhalb eines Aufsatzes schlüssig sein, nicht aber in allen Papers, die sie im Laufe ihrer Karriere verfassen. Damit könnte man leben, denn ein Mensch kann sich ja weiterentwickeln und Abstand zu früher geäußerten Überzeugungen gewinnen, aber dann sollte das frühere »Ergebnis« aus dem Verkehr gezogen und durch das neue ersetzt werden – bei Büchern ersetzt eine neue Ausgabe die vorherige. Dieses Ausbleiben von Strafe macht Wissenschaftler antifragil, und zwar auf Kosten der Gesellschaft, die sich auf die »Schlüssigkeit« wissenschaftlicher Erkenntnisse verlässt. Dabei habe ich keine Zweifel an der Aufrichtigkeit von Stiglitz – oder sagen wir besser, an einer eher schwach ausgeprägten Aufrichtigkeit. Ich glaube, er ist wirklich überzeugt davon, dass er die Finanzkrise vorhergesagt hat, ich formuliere das Problem also noch einmal anders: Menschen, die selbst keine Schäden zu befürchten haben, können sich aus ihren früher geäußerten, sich häufig auch widersprechenden Äußerungen die ihnen gerade gelegenen herauspicken und sich dann schließlich auf dem Weg zum Weltwirtschaftsforum in Davos selbst von ihrem intellektuellen Scharfblick überzeugen.
    Einerseits gibt es die Iatrogenie medizinischer Scharlatane und Quacksalber, die Schaden anrichten, sich darüber aber in gewisser

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