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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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für einen Propheten hält«, eine Anspielung auf sein überdimensionales Ego. Ein Beispiel für seine bombastische Selbsteinschätzung ist ein Gedicht, in dem er den Hörer davon in Kenntnis setzt, seine Dichtung sei so mächtig, »dass blinde Menschen sie lesen« und »taube Menschen sie hören können«. Al-Mutanabbi war der seltene Fall eines Dichters, der seine Haut aufs Spiel setzte und für seine Dichtung starb.
    Denn im selben Gedicht voller Eigenlob rühmt sich al-Mutanabbi in einer atemberaubenden Entfaltung sprachlicher Magie, dass er – über die Tatsache hinaus, dass er der sprachmächtigste Dichter überhaupt sei (was, ich sage es noch einmal, wirklich der Fall ist) – auch das tue, wovon er spricht: Er kenne wirklich »das Pferd, die Nacht, die Wüste, das Schwert, die Lanze, die Feder, das Buch« – und dank seines Mutes habe er Respekt vor dem Löwen.
    Und dann kostete ihn das Gedicht tatsächlich das Leben. Al-Mutanabbi hatte nämlich – äußerst typisch für ihn – in einem seiner Gedichte einen bestimmten Wüstenstamm geschmäht, dessen Angehörige ihn dann verfolgten. Sie überfielen ihn, während er unterwegs war. Da der Dichter und seine Begleiter in der Minderheit waren, gab er der Stimme der Vernunft nach und ergriff die Flucht, was an sich noch nichts Anstößiges ist – allerdings rezitierte dann einer seiner Gefährten »das Pferd, die Nacht …« Und al-Mutanabbi kehrte um und trat, den sicheren Tod vor Augen, seinen Verfolgern entgegen. Al-Mutanabbi ist also auch tausend Jahre nach seinem Tod noch der Dichter, der starb, um der Schande, die Flucht ergriffen zu haben, zu entgehen, und wenn wir seine Verse rezitieren, dann wissen wir, dass sie authentisch sind.
    Das große Rollenvorbild meiner Kindheit war der französische Abenteurer und Schriftsteller André Malraux. All seine Schriften sind geprägt von seiner Risikobereitschaft: Malraux hatte die Schule abgebrochen, war dabei jedoch äußerst belesen. In seinen zwanziger Jahren bereiste er als Abenteurer Asien. Während des spanischen Bürgerkriegs war er Pilot und später, im Zweiten Weltkrieg, Mitglied der französischen Résistance. Er entwickelte dann eine gewisse Mythomanie, indem er seine Begegnungen mit großen Männern und Politikern unnötig hochspielte. Er konnte einfach die Vorstellung vom Schriftsteller als einem Intellektuellen nicht ertragen. Im Gegensatz zu Hemingway, dem es in erster Linie um Selbstdarstellung ging, war Malraux wirklich authentisch. Und er ließ sich prinzipiell nie auf Small Talk ein – sein Biograph berichtet, Malraux habe, während andere Autoren über Copyrights diskutierten und Klatschgeschichten europäischer Königshäuser austauschten, die Konversation auf theologische Fragen gelenkt (angeblich war er der Meinung, das 21. Jahrhundert werde religiös sein, oder es werde gar nicht sein). Der Tag, an dem er starb, war einer der traurigsten in meinem Leben.
    Isolierung
    Das System ist nicht dazu angetan, Forscher zu motivieren, ein Malraux zu werden. Der große Skeptiker Hume soll, wenn er mit seinen Freunden in Edinburgh feierte, seine Existenzangst in seinem philosophischen Arbeitszimmer zurückgelassen haben (allerdings war seine Vorstellung von Feiern doch sehr … schottisch). Der Philosoph Myles Burnyeat nannte es das »Problem der Isolierung« ( insulation ), vor allem in Bezug auf Skeptiker, die in dem einen Zusammenhang Skeptiker sind, in einem anderen dagegen nicht. Er führt als Beispiel einen Philosophen an, der sich den Kopf zerbricht über das Wesen der Zeit und trotzdem ein Forschungsstipendium beantragt, damit er dem philosophischen Problem der Zeit während eines Freisemesters im Jahr darauf genauer nachgehen kann, wobei er offenbar keine Sekunde daran zweifelt, dass das nächste Jahr tatsächlich kommen wird. Burnyeat ist der Auffassung, der Philosoph »isoliere seine gewöhnlichen Urteile erster Ordnung von den Folgerungen aus seinem Philosophieren«. Sorry, Professor Doktor Burnyeat – ich bin der Auffassung, Philosophie (und ihr Geschwister, die reine Mathematik) ist der einzige Bereich, der keinen Bezug zur Realität herstellen muss. Es sei denn, Sie machen ein Gesellschaftsspiel daraus, dann sollten Sie das Ganze allerdings anders benennen …
    Gerd Gigerenzer berichtet von einem noch schwerwiegenderen Vergehen, das Harry Markowitz begangen hat. Er führte eine Methode namens »Portfolio Selection« ein und bekam denselben iatrogenen Preis der Schwedischen Reichsbank

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