Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
durcheinanderbringt, das Diabetes verursacht und Anbieter von Diabetesmedikamenten reich macht, die die Folgeschäden dieses Zeugs kompensieren. Großunternehmen machen sicher kein Geld damit, dass sie Ihnen Leitungswasser verkaufen, und sie sind außerstande, Wein herzustellen (Wein ist wahrscheinlich das beste Argument für traditionelle Handwerkskultur). Aber sie putzen ihre Produkte mit irrsinnigen Marketingmethoden heraus, mit Bildern, die den Konsumenten betrügen, und Slogans wie »125 Jahre im Dienst des Glücks«. Eigentlich verstehe ich nicht, warum die Argumente, die gegen die Zigarettenindustrie ins Feld geführt wurden, nicht auch auf alle anderen Großunternehmen übertragbar sind, die uns Dinge verkaufen wollen, welche uns krank machen.
Der Historiker Niall Ferguson und ich hatten einmal im Rahmen einer Veranstaltung der New York Public Library eine Diskussion mit einer Vorsitzenden von Pepsi-Cola. Es war eine großartige Lektion in Antifragilität, denn es kümmerte weder Niall noch mich, wer die Dame war (ich kannte nicht einmal ihren Namen). Autoren sind antifragil. Wir gingen beide völlig unvorbereitet in die Diskussion (hatten nicht einmal ein Blatt Papier dabei), und sie kam mit einem ganzen Stab von Beratern, die uns, in Anbetracht der dicken Aktenordner, die sie mitbrachten, wahrscheinlich bereits bis ins letzte Detail, bis hinunter zu unserer Schuhgröße, studiert hatten (in der Speakers’ Lounge sah ich eine Hilfskraft, die sich eine Dokumentation durchlas, zu der auch ein hässliches Bild meiner »Wenig«-keit aus der Zeit vor meiner Knochenmanie und meinem Gewichtstraining gehörte). Wir konnten ungestraft alles sagen, was wir wollten, sie dagegen hatte ihre Vorgaben, an die sie sich sklavisch halten musste, damit keine negativen Kommentare der Wertpapieranalytiker veröffentlicht wurden, die womöglich vor dem Jahresabschlussbonus einen Kursrückgang um zwei Dollar und dreißig Cent zur Folge hatten.
Außerdem weiß ich aus meiner Erfahrung mit Führungskräften großer Unternehmen, dass diese Leute, die danach dürsten, Tausende von Stunden in drögen Meetings zu verbringen oder schlechte Memos zu lesen, nicht sonderlich klug sein können. Das sind keine echten Unternehmer, sondern nur aalglatte Schauspieler (Wirtschaftshochschulen haben viel Ähnlichkeit mit Schauspielschulen). Ein intelligenter – oder freier – Mensch würde in einer solchen Umgebung zusammenbrechen. Niall deckte im Handumdrehen ihren wunden Punkt auf und ging gleich aufs Ganze: Ihre Parole lautete, sie trage zur Vollbeschäftigung bei, indem sechshunderttausend Menschen bei ihrem Unternehmen in Lohn und Brot stünden. Er entlarvte ihre Propaganda mit dem Gegenargument – das letztlich auf Marx und Engels zurückgeht –, dass Großunternehmen einfach nur dadurch Kontrolle über den Staat gewinnen, dass sie ein »bedeutender Arbeitgeber« sind und ihnen aufgrunddessen Leistungen zustehen – eine klare Benachteiligung kleiner Unternehmen. Einer Firma, die sechshunderttausend Personen beschäftigt, steht es frei, ungestraft die Gesundheit der Bürger zu ruinieren, wobei sie gleichzeitig damit rechnen darf, gegebenenfalls von Rettungsschirmen der Regierung beschützt zu werden (man denke an die amerikanische Autoindustrie) – wohingegen Handwerkern und Kleinunternehmern wie Friseuren und Schuhmachern eine solche Immunität vorenthalten bleibt.
Damals stieß ich plötzlich auf eine Regel: Mit Ausnahme von Drogenhändlern verkaufen uns kleine Unternehmen und Handwerker in der Regel gesunde Produkte, Dinge, die ganz selbstverständlich und sowieso gebraucht werden; die größeren dagegen – nicht zuletzt die Pharmagiganten – bringen haufenweise Produkte mit iatrogenen Effekten auf den Markt, nehmen dafür unser Geld, und um das Maß vollzumachen, ziehen sie dann noch mit ihren Heerscharen von Lobbyisten den Staat auf ihre Seite. Außerdem hat wohl alles, was auf Marketing angewiesen ist, schädliche Nebenwirkungen. Ohne einen gewaltigen Werbeaufwand dürfte es ja auch kaum möglich sein, die Leute davon zu überzeugen, dass Coke ihnen »Glück« beschert – und offensichtlich funktioniert es.
Natürlich gibt es Ausnahmen: Großunternehmen, in denen der Geist von Handwerkern, manchmal sogar der Geist von Künstlern spürbar ist. Rohan Silva berichtete, Steve Jobs habe Wert darauf gelegt, dass auch das Innere von Apple-Produkten ästhetisch ansprechend gestaltet war, obwohl der Kunde es gar nicht zu Gesicht
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