Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
bekommt. So handelt nur ein wahrer Handwerker – Schreiner mit einem ausgeprägten Berufsethos kommen sich wie Betrüger vor, wenn sie das Innere von Schränken mit weniger Sorgfalt gestalten als das Äußere. Ein weiteres Beispiel für Redundanz mit einem ästhetischen und ethischen Überschuss. Aber Steve Jobs war eine einsame Lichtgestalt in der viel beschworenen, komplett unverstandenen, angeblich ach so effizienten Weltwirtschaft der Großunternehmen.
Handwerker, Werbung und Billigangebote
Ein weiterer Aspekt des Handwerklichen. Keines der Produkte, auf die ich Wert lege, habe ich aufgrund von Werbe- oder Marketingmaßnahmen entdeckt: Käse, Wein, Fleisch, Eier, Tomaten, Basilikum, Äpfel, Restaurants, Friseure, Bilder, Bücher, Hotels, Schuhe, Hemden, Brillen, Hosen (mein Vater und ich waren Stammkunden bei drei Generationen armenischer Schneider in Beirut), Oliven, Olivenöl und so weiter. Dasselbe gilt für Städte, Museen, Kunst, Romane, Musik, Gemälde, Skulpturen (eine Zeitlang war ich besessen von antiker Kunst und römischen Köpfen). Vielleicht werden diese Dinge auch auf irgendeine Art und Weise »vermarktet«, indem man die Menschen auf ihre Existenz aufmerksam gemacht hat, aber das war nicht mein Zugang dazu – Mundpropaganda, persönliche Empfehlungen sind der wirksamste natürliche Filter. Eigentlich sogar der einzige.
In Supermarktregalen findet man überwiegend Produkte, die offenbar einfach nur möglichst billig sein sollen. Wenn Lebensmittelfirmen Ihnen etwas verkaufen, was sie als Käse bezeichnen, sind sie hoch motiviert, Ihnen das billigstmöglich herzustellende Stück Gummi anzudrehen, das aufgrund seiner Zusammensetzung gerade noch als Käse durchgehen kann, und ihre vornehmste Aufgabe sehen sie darin, herauszufinden, wie sie Ihre Geschmacksknospen täuschen können. Dabei ist das mehr als nur Motivation: Diese Unternehmen sind strukturell darauf angelegt und extrem geschickt darin, ein Produkt zu erzeugen, das die Vorgaben so kostengünstig wie möglich erfüllt. Dasselbe gilt für Buchveröffentlichungen aus dem Business-Bereich: Verlage und Autoren buhlen um die Aufmerksamkeit des Käufers und geben ihm das vergänglichste journalistische Erzeugnis in die Hand, das man gerade noch als Buch bezeichnen kann. Das ist wahre Optimierung: Image und Verpackung werden maximiert, Kosten und Aufwand minimiert.
Werbung durch Softdrink-Firmen ist darauf angelegt, den Konsumenten maximal in Verwirrung zu bringen. Jedes Produkt, das heftig beworben werden muss, ist zwingend entweder minderwertig oder schlecht. Und es ist im höchsten Maße unmoralisch, etwas so darzustellen, dass es besser erscheint, als es in Wahrheit ist. Andere auf die Existenz eines Produkts hinzuweisen, sagen wir einen neu entwickelten Bauchtanzgürtel, mag ja hingehen, aber ich frage mich, warum die Menschen nicht merken, dass per definitionem alles, was durch öffentliche Werbung bekannt gemacht werden muss, notwendigerweise minderwertig ist, sonst würde ja keine Werbung dafür gemacht.
Marketing ist gleichbedeutend mit schlechten Manieren – ich verlasse mich dabei auf meine natürlichen und ökologischen Instinkte. Stellen Sie sich vor, Sie begegnen jemandem auf einer Kreuzfahrt. Wenn Ihr Gegenüber jetzt anfangen würde, mit seinen Eigenschaften anzugeben: wie großartig er ist, wie reich, groß, imposant, geschickt, berühmt, durchtrainiert, hoch gebildet, erfolgreich, gut im Bett und so weiter und so fort – was würden Sie tun? Sehr wahrscheinlich würden Sie das Weite suchen (oder ihn mit einem anderen geschwätzigen Langweiler zusammenbringen, um beide los zu sein). Es ist in jedem Fall besser, wenn andere (und zwar nach Möglichkeit nicht seine Mutter) Gutes über ihn sagen, und man würde es begrüßen, wenn er mit einer gewissen persönlichen Bescheidenheit aufträte.
Mein Beispiel ist gar nicht so weit hergeholt. In der Zeit, als ich dieses Buch schrieb, hörte ich zufällig auf einem Flug mit British Air, wie ein Herr der Stewardess zwei Sekunden nach Eröffnung des Gesprächs (es ging eingangs darum, ob er Milch und Zucker in seinen Kaffee haben wollte) mitteilte, er habe den Nobelpreis in Medizin »und Physiologie« gewonnen und sei außerdem Präsident einer berühmten königlichen Akademie. Die Stewardess wusste nicht, was es mit dem Nobelpreis auf sich hatte, war aber so höflich, das Gespräch nicht abzubrechen, weshalb der Herr – in der Hoffnung, sie aus ihrer Ignoranz aufrütteln zu können
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