Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
beschäftigt sind, den letzten Krieg zu führen, führt die Natur schon längst den nächsten. Was die Zukunft angeht, hat Ihr Körper mehr Fantasie als Sie. Man denke nur an die Art, wie Gewichtstraining betrieben wird: Der Körper schießt als Reaktion auf Belastungen über das Ziel hinaus und bereitet sich mehr als nötig auf das nächste Training vor (natürlich nur bis zu einer gewissen biologischen Obergrenze). Auf diese Art gewinnen Körper an Kraft.
In den Monaten nach der Bankenkrise bekam ich alle möglichen Arten von Drohungen zugestellt, und The Wall Street Journal empfahl mir, mir »Bodyguards zuzulegen«.Ich versuchte mir einzureden, dass ich mir keine Sorgen machen müsste, dass ich ruhig bleiben könne; die Drohungen kamen ja lediglich von verärgerten Bankern. Und normalerweise werden die Leute ja erst zusammengeschlagen, und danach liest man in der Zeitung davon, nicht umgekehrt. Aber irgendwie zog das Argument bei mir nicht richtig, und wenn ich in New York oder London war, konnte ich nicht mehr richtig entspannen, nicht einmal nach einer Tasse Kamillentee. Ich fühlte mich plötzlich auf öffentlichen Plätzen verfolgt und fing an, die Menschen um mich herum zu mustern, um sicherzustellen, dass mir keiner folgte. Der Vorschlag mit den Bodyguards kam mir auf einmal gar nicht mehr so dumm vor, aber ich fand es reizvoller (und entschieden kostengünstiger), selbst ein Leibwächter zu werden oder besser gesagt wie einer auszusehen. So lernte ich Lenny »Cake« kennen, einen Trainer mit einem Körpergewicht von rund 280 Pfund (130 Kilogramm), der nebenher als Securitymann arbeitete. Sowohl sein Spitzname als auch sein Gewicht ging auf seine Vorliebe für Kuchen zurück. Lenny Cake war die körperlich bedrohlichste Person weit und breit, und er war sechzig. Anstatt mich von ihm trainieren zu lassen, schaute ich ihm beim Training zu. Er arbeitete mit der »Maximum Lift«-Methode und schwor darauf – er hielt sie für den effektivsten und zeitsparendsten Trainingstyp. Die Methode bestand aus kurzen Aufenthalten im Fitnesszentrum, bei denen man sich ausschließlich darauf konzentrierte, das beim letzten Mal in einem einzigen Hub erreichte Maximalgewicht zu übertreffen, das schwerste Gewicht, das man heben kann – quasi eine Art Hochwassermarke. Das Work-out beschränkte sich darauf, ein- oder zweimal darüber hinauszugehen, es war also etwas ganz anderes als die üblichen drögen, zeitfressenden Wiederholungen. Mit dieser Übung kam ich in eine naturalistische Form des Gewichthebens, die auch mit evidenzbasierter Fachliteratur übereinstimmt: Man arbeitet am oberen Limit und verbringt den Rest des Tages mit Ausruhen und dem Verzehr von riesigen Steaks. Seit mittlerweile vier Jahren arbeite ich daran, mein Limit immer weiter zu verschieben; es ist grandios zu sehen, wie irgendetwas in meinem Organismus die nächste Stufe auf ein höheres Level schon vorwegnimmt – so lange, bis die biologische Obergrenze erreicht ist. Wenn ich mit einer Hantel mit einem Gewicht von sagen wir 330 Pfund Kreuzheben übe (was dem Aufheben eines Felsbrockens auf Hüfthöhe entspricht) und mich anschließend ausruhe, kann ich sicher sein, dass ich ein gewisses Maß an zusätzlicher Muskelkraft ausbilde, da mein Körper weiß , dass ich das nächste Mal 335 Pfund stemmen muss.
Profitiert habe ich von dieser Methode nicht nur insofern, als meine Paranoia verschwunden ist und ich mich auf öffentlichen Plätzen wieder völlig ungezwungen bewegen kann; es gibt darüber hinaus kleine Annehmlichkeiten, mit denen ich gar nicht gerechnet hatte. Wenn ich in der Ankunftshalle des Kennedy Airport von Limousinenchauffeuren angesprochen werde, die mir unbedingt eine Spazierfahrt andrehen wollen, muss ich nur ruhig »f *** off« sagen, und sie trollen sich umgehend.Ganz ohne Nachteile ist die Sache allerdings nicht: Leser meiner Bücher, die ich auf Konferenzen treffe, sind manchmal ziemlich erstaunt, einem Intellektuellen zu begegnen, der die Ausstrahlung eines Bodyguards hat – Intellektuelle sind entweder schlank und drahtig oder schwabbelig und formlos (wenn sie ein Tweedjackett tragen), aber man erwartet nicht, dass sie aussehen wie Metzger.
Folgende Beobachtung von Aaron Brown, meinem Lieblingsgegner auf intellektuellem Feld und persönlichem Freund, wird den Darwinisten zu denken geben: Der in der Evolutionstheorie so zentrale Terminus der »Fitness« selbst ist womöglich ungenau, wenn nicht gar missverständlich; und hier
Weitere Kostenlose Bücher