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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stiff Chainey
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wie er persönlich damit umgeht ( er ist unfassbar gelähmt ), erkannte ich, dass es gar nicht mehr um meine Geschichte ging, nicht mehr um eine ernst gemeinte Entschuldigung, nicht mehr um moralische Befindlichkeiten, sondern nur noch um eine Bühne für diesen Mitleider. Alles andere wurde zur Nebensache degradiert. Mir sollte es recht sein.
    Ganz am Ende seines qualvoll langen Monologes über Krankheit und der daraus erwachsenden Verantwortung sah er mir direkt in die Augen, so als ob er erwartete, dass ich seine Thesen abschließend bestätigen würde. Dieser stierende Blick irritierte mich ziemlich, und für meinen Geschmack verharrten wir einige Sekunden zu lang in dieser peinlichen Situation, doch er interpretierte mein Schweigen als stille Bejahung und lächelte verlegen.
    Dann tippte er mit dem Finger auf das Manuskript. Ich beobachtete ihn ganz genau und studierte eingehend seine Mimik, als er sagte, dass meine Erzählung sehr gelungen sowie eine treffende Reflexion über die gegenwärtige Gesellschaft sei. Er meinte jedes Wort ernst. Ich brächte auf den Punkt, was viele verschweigen, was vielen verschwiegen wird : Dass die Kranken und Alten abgeschoben werden wie nutzloses Vieh.

    Und jetzt stehe ich also vor dem Kurs, um ihnen meine selbst verfasste Entschuldigungslektüre vorzulesen, die Demontage meiner Person sozusagen öffentlich zu machen. Der Kurs scheint verändert, wirkt überhaupt nicht wie eine Ansammlung normaler, unter Lernzwang zusammengepferchter Menschen. Nicht wie Homo addicsi , lernende Menschen, sondern eher wie ein Haufen inzestgezeugter Kreaturen, die auf ihre Fäkalien ejakulieren.
    Doch ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen, sondern beginne untertänig und schuldbewusst, so wie sie einen Sünder eben haben wollen - als buckelnden Arschkriecher.
    «Nachdem ich beim letzten Mal übertrieben habe, was ich natürlich auch zugebe und wofür ich mich hiermit beim ganzen Kurs und vor allem bei Herrn Hillemann entschuldigen möchte, habe ich mir diesmal wirklich wichtige Fragen gestellt.»
    Ich sehe ernst in die Runde und lasse die Hand, in der ich mein Manuskript halte, kurz fallen - eine Geste, die ehrliche Aufrichtigkeit demonstrieren soll. Die nächsten Worte betone ich sorgfältig: «Was ist das eigentlich tatsächlich für eine Welt, in der wir leben?», frage ich und fast alle sehen mich skeptisch an.
    Ich räuspere mich und fahre fort: «Ist unsere Welt wirklich nur noch negativ und besteht aus Tod und Irrsinn?»
    Ich mache eine kurze Pause, sehe entschlossen in die Gesichter und stelle überzeugt fest: «Ich finde nicht! »
    Danach lasse ich meinen Blick schweifen, Hillemann starrt auf das Pult und hört konzentriert zu, nickt zustimmend.
    «Manchmal glaubt man, dass die heile Welt zerbricht, dass sie vielleicht nur eine Illusion war, und plötzlich steht man vor Dingen, die aus schlechten Horrorfilmen zu stammen scheinen: Tod, Wahnsinn, Verbrechen!», führe ich weiter aus, hebe mahnend die freie Hand.
    «Ganz klar ist, vieles läuft falsch, darüber braucht man nicht zu diskutieren, aber bei all dieser Negativität ist da doch auch immer noch der Glaube an das Gute, an die Gerechtigkeit. Man liest so viele schlimme Nachrichten in den Zeitungen, so viel über Terror, Mord und Gewalt, und plötzlich, plötzlich ist sie da, ganz versteckt zwischen den Schlagzeilen, diese eine gute Meldung, bei der ich mir denke: Siehst du, nicht alle und alles ist schlecht!»
    Einige nicken zustimmend. Hillemann sieht mich kurz an und bedeutet mir mit einer Handbewegung, dass ich fortfahren soll.
    « Das habe ich beim Schreiben berücksichtigt und mir zu Herzen genommen: Eine Geschichte über die positiven Seiten des Lebens zu erzählen, über Menschlichkeit und wahre Größe, nicht über Egoismus und Kälte, die uns alle so oft zu umgeben scheint. Man sollte meine Erzählung als ein Plädoyer für eine neue Art des Miteinanders verstehen, auch wenn das vielleicht erst mal unglaubwürdig erscheinen mag.
    Um das noch einmal klarzustellen: Mir lag nichts ferner, als einfach nur zu provozieren. Es ging mir niemals um die reine Provokation, sondern vielmehr um einen sarkastischen Tabubruch. Einen Anstoß, der den Zuhörer zum Nachdenken über vermeintlich gefestigte Tatsachen und Meinungen anregen sollte .
    Daher tut es mir sehr leid, wenn ich einen falschen Eindruck erweckt haben sollte, denn das war ganz und gar nicht meine Absicht. Genau aus diesem Grund erzähle ich jetzt auch aus der Sicht

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