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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stiff Chainey
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hatte die Türklingel mindestens dreißig Sekunden in stakkatoartigen Rhythmen betätigt und dabei unablässig auf die flüchtigen Schatten hinter dem Spion gestarrt, bevor der überaus schrille Ton ihn endlich aus diesem tranceähnlichen Zustand herausriss.
    Die Tür wurde langsam geöffnet, eine Geruchskombination aus Körperausdünstungen und frischer Scheiße strömte ihm entgegen. Der warme Schwall traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Ihm wurde übel. Ein hagerer Typ in verwaschener Jeans erschien im Türspalt; er wirkte deplatziert wie die eckige Hornbrille in seinem Gesicht.
    «Was willst du hier?», blaffte er und schob sein Kinn nach vorne.
    «Bist du Wolfgang?»
    Für einen Moment sah ihn der hagere Typ ehrlich erstaunt an, dann holte er zu einem gewaltigen Schwinger aus. Der Schlag traf Finn genau an der Schläfe, das Gefühl der Unbesiegbarkeit verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war.
    Die Wirklichkeit kehrte auf die Bühne zurück; sie war kaum zu ertragen.
    Der metallische Geschmack von Blut entfaltete sich in seinem Mund, und an diesem Punkt war alles vorbei, die Illusion endgültig zerplatzt. Jetzt war er wieder der, der er immer gewesen war.
    «Verpiss dich!», zischte der hagere Typ noch und knallte die Tür zu.
    Finn blieb auf dem Boden liegen. Das Blut, das ihm aus Nase und Mund lief, fühlte sich auf eine seltsame Weise ehrlich an. Es war das Einzige, was er zu geben imstande war. So war es immer gewesen .
    «Ich komme doch von Andor!», wimmerte er und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht.
    «Welcher Andor?»
    Die Stimme hinter der Tür klang skeptisch.
    «Der Nazi-Andor?»
    «Genau den meine ich.»
    «Warum weiß ich dann nichts darüber?»
    «Ich … ich komme ja nicht wegen ihm …»
    « Dich kenne ich aber nicht, also verpiss dich!»
    «Andor hat gesagt, es ist okay, wenn ich zu dir gehe …»
    «Alter, du nervst!»
    Der hagere Typ erschien erneut im Türrahmen.
    «Reinkommen, Fresse halten!»

    In dem Moment, in dem er in den Flur und somit aus dem Licht in den Schatten trat, dachte er an seine Mutter. Er dachte daran, wie sie ihre Abende allein und mit verkniffenem Gesicht vor dem Fernseher verbrachte und dabei Kette rauchte. Und er dachte an seinen Vater, der vor seinem kaputten und verpfuschten Leben immer davongelaufen war, und wie wenig er ihm eigentlich zu sagen hätte, wenn sie nur einmal richtig miteinander reden würden.
    Ihm wurde bewusst, dass er die Menschen, die seine Eltern waren, kaum kannte. Im Grunde, dachte er, ist für die beiden jede Hoffnung verloren. Ihm wurde klar, dass sich ihre Wege bereits vor langer Zeit als Sackgassen herausgestellt hatten.
    Für sie gab es kein Zurück, keinen Neustart. Sie haben einfach verpasst, die richtige Entscheidung zu treffen, dachte er, und was ihnen jetzt bleibt, ist der Zerfall. Leise und beständig wird das Fundament, auf dem sie bisher ihr Leben zugebracht haben, zerbröckeln und ihre Gesichter werden sich immer mehr zerknitterter Wäsche angleichen. Kälte und Einsamkeit, bis sie endgültig erledigt sind.
    Die Angst verschwand vollständig, als ihm bewusst wurde, dass er sich bereits richtig entschieden hatte. Er wollte kein Leben im Pause-Modus.

    Der hagere Typ ging voraus. Sie gelangten in ein großes Zimmer, in dem das einzige Fenster verschlossen und die Luft mit Zigarettenrauch gesättigt war. Es herrschte eine kalte und klebrige Atmosphäre. Leere Pizzakartons, überquellende Aschenbecher und alte Musikmagazine bildeten ein Ensemble, nur der nagelneue Fernseher und die Playstation 3, die noch in der Verpackung lag, passten nicht zur Patina.
    Den fetten, langhaarigen Typen auf dem leuchtend grünen Cordsessel bemerkte er erst, als seine Stimme aus dem Halbdunkel dröhnte.
    «Was is‘n das für ‚n Mongo?»
    Der hagere Typ zuckte mit den Schultern.
    «Sagt, er kommt von Andor»
    «Bist du Wolfgang?», fragte Finn den Langhaarigen.

    Wolfgang ist der Name eines Dealers, ein Name, der in der Schule zirkulierte und den Finn aufgeschnappt hatte, wie man ein offenes Geheimnis eben aufschnappt. Wolfgang , hatte er gedacht, als er den Namen das erste Mal gehört hatte, was für ein gewöhnlicher Name für einen Drogendealer.

    «Sehe ich etwa so aus?»
    Finn zuckte unbeholfen mit den Achseln. Was wusste er schon über das Aussehen von Drogendealern? Wie sahen die überhaupt aus? So wie die Charaktere in Grand Theft Auto ? Zwielichtige Typen mit schwerem Goldschmuck in teuren, aber geschmacklosen

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