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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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auch!« Doch das war nicht der Fall, und Rosanna registrierte genau, wie die Leute aufSimone reagierten: im besten Fall gleichgültig, im schlechtesten Fall mit offener Ablehnung.
    Simone spürte auch, dass hinter ihrem Rücken darüber getuschelt wurde, wie eine so fröhliche Frau wie die Wirtin Moritz mit einem derart spröden Wesen, das ständig seinen Rosenkranz knetete, befreundet sein konnte. Aber die Leute sollten reden, so viel sie wollten. Nichts und niemand würde sich jemals zwischen Rosanna und sie drängen! Sicher, die intime Zweisamkeit der Anfangsjahre war verschwunden, überrollt vom arbeitsamen Hotelalltag. Dennoch wusste Rosanna in ihrem tiefsten Herzen genau, zu wem sie gehörte – daran glaubte Simone ganz fest.
    Hätte sie sonst im Jahr 1905 darauf bestanden, beim Rombacher Amtsschreiber einen Termin zu vereinbaren? Eine schriftliche Vollmacht hatte sie Simone damals erteilt, für die Zeiten, in denen sie ein paar Tage lang verreisen musste. Und das kam immer wieder einmal vor, sei es wegen eines Amtsbesuches, um neue Möbel zu bestellen oder um bei der Konkurrenz Anregungen für einen neuen Hotelprospekt abzugucken. In diesen Zeiten musste der Betrieb weitergehen. Rechnungen mussten bezahlt, Löhne ausgehändigt werden. Dafür brauchte Simone eine schriftliche Vollmacht.
    Und weil sie schon einmal beim Notar saß, ließ Rosanna gleich auch ein kurzes Testament aufsetzen. Sollte ihr je etwas zustoßen, dann würde Simone, die durch das Geld, das sie eingebracht hatte, im Grunde sowieso schon Miteigentümerin des Hotels war, alleinige Eigentümerin werden.
    Simone hatte sich anfangs mit Händen und Füßen gegen dieses Testament gewehrt. Allein der Gedanke, Rosanna könne etwas zustoßen, hatte sie in Panik versetzt. Was wäre ihr Leben dann noch wert? Ihr war es zuwider, sich mit rechtlichen Einzelheiten für diesen Fall auseinander zu setzen. Aber Rosanna hatte darauf bestanden.
    Als Simone die Bürste endlich aus der Hand legte und in ihr kaltes Bett kroch, spielte ein kleines Lächeln um ihre Lippen.
    Ihr hatte Rosanna die Vollmacht erteilt.
    Sie war von ihr im Testament zur Miteigentümerin und späteren Erbin bestimmt worden.
    Kein Mann, kein Kind, keine Haushälterin Sieglinde, niemand sonst.
    Ihr geliebter Engel hatte nur an sie gedacht.

Julie konnte die Seiten gar nicht schnell genug umblättern, so gierig war sie darauf, zu erfahren, wie es mit Rosannas Hotel weiterging. Wenn sie ein Stück gelesen hatte und ihre Erkenntnisse in ihrem eigenen Text verarbeiten wollte, ärgerte sie sich jedes Mal darüber, dass sie nicht schneller zu tippen vermochte. Dennoch konnte sie Rosannas Überzeugung, Schreiben sei ein sinnliches Ritual, inzwischen gut nachempfinden. Allein der Moment, wenn sie ihren Laptop einschaltete und der helle Bildschirm vor ihren Augen auftauchte, erfüllte sie mit einer kreativen Energie, von der sie nicht geahnt hatte, dass sie überhaupt in ihr existierte.
    Wenn sie weiterhin so gut vorankam, würde sie bis Ende des Monats mit ihren Aufzeichnungen fertig werden. Und obwohl ihr bewusst war, dass sie nicht ewig in ihrer Einsiedelei verharren und fremde Leben leben konnte, graute ihr schon jetzt vor dem Moment, wenn sie aus Rosannas und Simones Leben endgültig wieder auftauchen musste.
    Doch für heute war es genug. Mit einem Glas Wein setzte sich Julie auf die Bank vor dem Haus und starrte in die Dämmerung. So war es also dazu gekommen, dass Simone den Hof ihrer Tochter Antonia vererben konnte … Simone war von Rosanna zur alleinigen Erbin eingesetzt worden – was für ein großer Vertrauensbeweis.
    Doch trotz aller wiederkehrender Freundschaftsbekundungen, trotz der Treue zwischen den beiden Frauen konnte Julie noch immer nicht begreifen, was Rosanna in Simone gesehen hatte. War es am Anfang Mitleid gewesen, so musste es in späteren Jahren etwas anderes geworden sein. Eine besondere Art von Zuneigung? Gewohnheit? Angst vor dem Alleinsein?
    Manchmal überkam Julie beim Lesen das Gefühl, Rosanna sei im tiefsten Herzen stets einsam gewesen. Dabei hatte sie gar keine Zeit, sich einsam zu fühlen: die nie enden wollende Arbeit,die Verantwortung für die vielen Menschen, die sie nun zu tragen hatte, das stete Kommen und Gehen der Gäste … Und doch gab es Hinweise darauf, zum Beispiel wenn sie über ein verliebtes Ehepaar schrieb.

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