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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Sie tat dies so sehnsuchtsvoll, dass es Julie schmerzte. Ein anderes Mal hatte sie die Begegnung mit einer Mutter und deren vier Kindern geschildert und gleich darauf so sprunghaft das Thema gewechselt, dass Julie Mühe hatte, ihr zu folgen – bis sie erkannte, dass dies Rosannas Art war, ihre tiefsten Bedürfnisse zu verdrängen.
    War Rosanna wirklich einsam gewesen? Es fiel Julie schwer, sich darüber ein Urteil zu bilden. Oberflächlich gesehen sicher nicht. Immerhin besaß sie einige langjährige Vertraute – Claudine, Bärbel, Sieglinde, deren Vater Stanislaus. Die wichtigste Person in ihrem Leben war jedoch über viele Jahre hinweg Simone.
    Ausgerechnet Simone, dachte Julie. Liebe Rosanna, warum bist du nie auf die Idee gekommen, dass Simone es vielleicht gar nicht so gut mit dir meinte, wie du immer glaubtest?
    Julie erschauerte und wusste nicht, ob die Abendkälte allein dafür verantwortlich war.
    Nachdem sie das Glas Wein ausgetrunken hatte, ging sie zurück ins Haus und nahm ihre Lektüre wieder auf.
    Sie konnte nicht abwarten, zu erfahren, wie es mit Rosanna und Simone weiterging.

18. Juni 1919
    Ach, das Reisen ist noch immer so beschwerlich, dass ich meine Gäste dafür bewundere, dass sie diese Strapazen überhaupt auf sich nehmen! Jetzt ist der Krieg schon fast ein Jahr vorbei, und noch immer sind die Züge mit verletzten Soldaten überfüllt. Wenn man während der Fahrt aus dem Fenster schaut, fällt der Blick auf ungepflegte Äcker und Obstwiesen, auf denen Bäume wild vor sich hin wuchern, weil niemand Zeit hat, sie zu beschneiden. Auf den Bahnhöfen blickt man überall in die verhärmten, von Schrecken gezeichneten Gesichter bettelnder Mütter in Lumpen. Junge Männer bekommt man fast nirgendwo zu sehen. Irgendjemand hat ausgerechnet, dass uns dieser verdammte Krieg mehr als 190 Milliarden Goldmark gekostet hat – und was hat er uns gebracht? Zwei Millionen deutsche Soldaten sollen gefallen sein! Kann sich ein Mensch eine solche Zahl überhaupt vorstellen? Mir bricht es das Herz. In den Zeitungen steht, dass sich die Regierungen der beteiligten Länder Ende des Monats in Versailles treffen wollen, um einen Friedensvertrag auszuhandeln. Wovon Deutschland seine Kriegsschulden bezahlen will, ist mir schleierhaft, wo das Land doch ausgeblutet ist wie ein abgehangenes Stück Fleisch.
    Ich kann kaum beschreiben, wie froh ich war, als für mich in Rombach endlich die letzte Station gekommen war! Ich weiß, dass ich egoistisch bin. Aber je älter ich werde, desto schwerer fällt es mir, auch nur für wenige Tage meinem geliebten »Kuckucksnest« fernzubleiben. Doch dieses Mal musste es sein, und es hat sich gelohnt. Endlich ist es mir gelungen, einen Kurarzt für unser Haus zu verpflichten. Nun ja, genau genommen ist er noch gar kein Kurarzt, aber auch daran trägt nur dieser Krieg die Schuld. Denn kurz nach Beendigung seines Studiums wurde der frisch gebackene Doktor Michael Steiert eingezogen. Ausgerechnet nach Deutsch-Ostafrika schickte man ihn. Nun, dort hat er immerhin überlebt.
    Auf alle Fälle hat er sich sehr über mein Angebot gefreut. Meine Befürchtung, ihm könne es bei uns auf dem Berg bald zu langweilig werden, hat er glaubwürdig zerstreut. Er habe genug Aufregungen für den Rest seines Lebens hinter sich, sagte er und hielt mir die Hand zum Einschlagen hin. Der Mann gefällt mir! Und mir gefällt noch viel mehr, dass er die Rombacher einmal wöchentlich auf meine Kosten behandeln wird …
    Kaum war ich in Rombach aus dem Zug gestiegen, musste mir ausgerechnet Zacharias über den Weg laufen. Er hat mich dann gleich an das Treffen des Heimatpflegevereins erinnert. Als ob ich schon je eins vergessen hätte!
    In vier Wochen findet Antons Hochzeit statt, da gibt es bei unserem nächsten Treffen natürlich noch einiges zu besprechen. Der gute alte Anton! Dass wir vom Heimatpflegeverein seine Hochzeit bezahlen und nicht er selbst, stößt Zacharias sauer auf. Dabei sollte er über dieses Arrangement doch froh sein: Er hat sowieso kein Geld für die Ausrichtung einer großen Feier. Als Gegenleistung dürfen die Gäste vom »Kuckucksnest« einer traditionellen Schwarzwälder Hochzeit beiwohnen, was diese bestimmt wieder außerordentlich »chic« und »entzückend ländlich« finden werden.
    Zacharias sah nicht gut aus.

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