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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet.
    Die Schreie der Männer am Stammtisch, das Löffelklappern, Franziskas keifende Stimme in der Küche – all das war plötzlich ganz weit weg.
    Doch gerade, als sich ihre Lippen berühren wollten, ließ ein eisiger Windzug die beiden jungen Leute zusammenschrecken. Im selben Moment fuhren sie auseinander.
    Anton stand schwer atmend in der Hintertür. Sein Gesicht war weißer als ein Teller Kutteln.
    Â»Verdammt, Zacharias, hast du mich denn nicht gehört?«
    Seine Hand, mit der er in Richtung Lager zeigte, zitterte.
    Â»Der Vater, ein Unfall! Komm schnell!«

Gustav Breuer war auf ein Lagerregal geklettert, um einen der Mehlsäcke, die den Weg zu den Bierfässern versperrten, fortzuzerren. Dabei hatte er das Gleichgewicht verloren und war gestürzt.
    Als wir ihn fanden, war er ohnmächtig. Sein Kopf lag neben dem aufgeplatzten Mehlsack im weißen Staub. Außerdem war sein Bein so unnatürlich abgewinkelt, dass es nichts Gutes bedeuten konnte.
    Ein glatter Beinbruch, sagte der Arzt, den Anton sofort holte, nachdem er und sein Bruder den Vater ins elterliche Schlafzimmer getragen hatten. Außerdem eine Gehirnerschütterung. Der Arzt blieb bis nach Mitternacht, richtete das Bein und schiente es. Franziska half ihm dabei.
    Wir anderen mussten zusehen, dass die Arbeit in der Wirtschaft gemacht wurde.
    Zacharias war sehr schweigsam. Er gab sich die Schuld an dem Unfall. Wäre er gleich mit ins Lager gegangen, statt sich mit mir zu vergnügen …
    Das Leben ging weiter, auch ohne Gustav Breuer, der am nächsten Morgen zwar aus seiner Ohnmacht erwacht war, aber fortan nichts anderes tat, als stur vor sich hin zu starren. Nur manchmal murmelte er irgendein unverständliches Zeug.
    Gleich am Morgen wurde die Arbeit neu verteilt, und zwar ohne viel Aufhebens. »Solange dein Vater darniederliegt, bist du der Wirt«, sagte Franziska mit rot geränderten Augen zu Zacharias. Anton wurde aus der Küche hinter die Theke beordert, worüber er nicht unglücklich war. Für Simone und mich änderte sich nicht viel, wenn man davon absah, dass wir zu einem großen Teil nun auch noch die Arbeit der Wirtin übernehmen mussten. Gustav hatte nämlich fiebrige Anfälle, in denen er nicht ganz Herr seiner Sinne war und sich so seltsam verhielt, dass es einem angst und bange dabei wurde. Franziska scheuchte dann stets alle aus demRaum – sie wollte nicht, dass jemand ihren Mann so zu sehen bekam. Der Arzt konnte sich Gustavs Zustand nicht erklären. Vielleicht war es doch nicht nur eine Gehirnerschütterung gewesen? Womöglich habe sich der Breuer-Wirt bei seinem Sturz den Schädel heftiger angeschlagen, auch wenn von außen keine Beule zu sehen war, so die hilflose Diagnose des Arztes. Er riet, dem Kranken absolute Ruhe zu gönnen.
    Viele Stunden lang saß Franziska am Krankenbett, einen Eimer mit kaltem Wasser neben sich, in dem sie immer wieder Lappen tränkte, die sie Gustav anschließend auf die Stirn legte. Einmal wollte ich zu den beiden ins Schlafzimmer gehen, um zu fragen, ob ich bei meinem Gang zur Mühle außer Mehl noch andere Dinge mitbringen sollte. An der Tür hielt ich inne, da ich Franziska sprechen hörte.
    Leise, seufzend, mehr zu sich selbst als zu dem Fieberkranken, sagte sie: »Ich hab mich oft gefragt, warum ich dich geheiratet habe. War es Liebe? Ich weiß es nicht. Aber irgendwann … da fragt man nicht mehr …«
    Erschrocken lugte ich durch den Türspalt. Gustav starrte seine Frau mit offenen Augen an, doch sein Blick war so geistesabwesend, als wäre er schon tot.
    Peinlich berührt schlich ich mich wieder davon. Und was war der Dank für meine Diskretion? Am Abend bekam ich Schelte, weil ich keinen Zucker gekauft hatte.
    Zacharias blieb nicht viel Zeit, sich Gedanken über sein schlechtes Gewissen zu machen.
    Er war nun der Wirt.
    Und obwohl er schon immer ein stattlicher Kerl gewesen war, hatte ich nun das Gefühl, als wüchse er an jeder neuen Aufgabe. Er war so stolz! Wie er hinter dem Tresen stand und seine Geschwister und mich herumkommandierte …
    Ich war froh und glücklich, in seiner Nähe zu sein. Obwohl im selben Haus ein Kranker um sein Leben rang, überkam mich eine übermütige Freude, die mir nichts und niemand nehmen

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