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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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sich erst einmal mit
    Nudeln satt isst, um hinterher noch einen Gang Fleisch
    nachzudrücken. Ich esse auch brav und beklage mich
    nicht mehr über die Mengen. Solche Beschwerden wer-
    den nämlich grundsätzlich missverstanden.
    Wenn ich früher sagte, dass es ja ganz schön viel zu
    essen gebe, dann wurde dies immer als Aufforderung
    betrachtet, noch mehr aufzutischen. Gleiches gilt,
    wenn ich sagte, dass ich satt sei. Man glaubt mir hier
    grundsätzlich nicht. Ich müsste schon das Essen gegen
    die Wand werfen oder mit der Gabel nach der Oma ste-
    chen, um meinen Worten eine gewisse Ernsthaftigkeit
    zu verleihen. So jedoch sitze und mampfe ich, und die
    anderen sehen mir dabei zu. Sie nehmen an, dass ich
    immer und immer Hunger habe. Nach den Koteletts
    gibt es zum Plaudern noch Oliven, Käse und Würste in
    unterschiedlichen Grobheitsstufen. Sehr lecker, wenn
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    man hungrig ist. Furchtbar, wenn man nichts mehr
    hinunterbekommt. Doch Nonna Anna ist unerbittlich.
    «Nimm noch Salami!»
    «Nein, vielen Dank.»
    «Du magst keine Salami.»
    «Doch, natürlich mag ich Salami.»
    «Maria, er mag keine Salami! Himmelherrgott, wir
    gehen zu Baffone und kaufen die gute Salami, und da-
    bei mag er sie gar nicht! So eine Pleite!»
    «Aber ich esse sehr gerne Salami.»
    «Du kannst auch Schinken haben. Maria, hol mal
    den Schinken!»
    «Ich liebe Salami über alles, ehrlich.»
    «Na, wenn du sie magst, warum redest du dann lan-
    ge? Iss sie auf. Es muss dir doch nicht peinlich sein,
    dass du Salami magst. Jeder mag Salami.»
    Was soll man darauf noch sagen? Ich stopfe die Sa-
    lami in dicken Scheiben in mich hinein, bis Sara mir
    durch energisches Hand-auf-den-Arm-Legen Einhalt
    gebietet.

    Topthema des Abends ist die Altstadt von Campobas-
    so, welche nach diversen Erdbeben und auch aufgrund
    einer gewissen Laxheit im Umgang mit den alten Häu-
    sern in einem desolaten Zustand ist. Teile des histori-
    schen Stadtkerns sind bereits evakuiert, man kann dort
    nicht mehr leben. Die Wände der Häuser sind zu
    feucht und zu brüchig, die Gassen sind schmal und
    steil, man kommt fast nirgends mit dem Auto hin.
    Nonna Anna ist dort vor fünfzig Jahren weggezogen.
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    Schon damals galt die Gegend unterhalb der Burg als
    unbewohnbar.
    Nun erwägt man, das ganze Gebiet abzureißen. Das
    macht Onkel Egidio fuchsteufelswild, immerhin ist es
    eine antike Stadt, sie geht auf die Langobarden zurück
    und im Mittelalter hatte Campobasso sogar das Münz-
    prägerecht. Man war mal wer – vor 600 Jahren. Und
    heute? Alles im Arsch, im Eimer, «eine heruntergewirt-
    schaftete Scheiße ist das hier», tobt der Onkel und haut
    mit der flachen Hand auf den Tisch, dass sein Glas
    hochspringt. Wie kann man das nur abreißen, Hunder-
    te Häuser sind betroffen!
    Ich bin schon oft dort spazieren gegangen, mit Sara
    und manchmal mit Antonio, der mir dann von seiner
    Kindheit erzählte. Es ist schön dort, etwas morbid viel-
    leicht, aber wirklich sehr hübsch. Man könnte hier sehr
    gut Filme drehen, die im Mittelalter spielen und in de-
    nen sinistre Mönche mit Kerzen in der Hand umher-
    schleichen. So ein Ort ist das. Gegen den stetigen Ver-
    fall müsste man etwas tun, aber das hier ist die italieni-
    sche Provinz, wo es viel zu viele antike Gebäude gibt, um sie alle zu beschützen. Antonio, der in Italien immer die Rolle des welterfahrenen Grandseigneurs
    spielt, weil er der Einzige ist, der je von hier weggegan-
    gen ist, hält einen längeren Vortrag über die politischen
    Versäumnisse in Sachen Denkmalschutz und kommt
    zu dem Schluss, dass viel Phantasie vonnöten wäre, um
    die Bausubstanz von Campobasso zu erhalten. Aber
    Phantasie habe man ja hier nur noch, wenn es um kri-
    minelle Machenschaften ginge.
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    Sara verdreht die Augen, wie nur Töchter die Augen
    verdrehen können. Antonio kommt so langsam auf Be-
    triebstemperatur. Hier unten spricht er immer viel lau-
    ter als zu Hause in Deutschland. Er berichtet nun von
    den vielfältigen Vorzügen seiner Wahlheimat, beson-
    ders von der herausragenden Rolle des Denkmalschut-
    zes, von dem er natürlich keine blasse Ahnung hat.
    Sonst könnte er nicht das Fußballstadion von Krefeld
    als Weltkulturerbe bezeichnen und die Autobahn zwi-
    schen Neuss und Köln als gepflegtes Vermächtnis der
    römischen Besatzer.
    Ich amüsiere mich prächtig, aber es entgeht mir
    nicht, dass Sara verstimmt den Tisch verlässt, um we-
    nig später zurückzukommen und mit dem Verschluss
    einer

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