Antonio im Wunderland
Wasserflasche herumzuspielen. So etwas macht
sie nur, wenn sie genervt ist. Bei unseren wenigen Ehe-
krächen habe ich das festgestellt.
Antonio hat längst die ganze Aufmerksamkeit der
Familie, alle anderen Unterhaltungen sind versiegt,
selbst Onkel Raffaele hat die sonst ständig schwelende
Konkurrenz zu Antonio aufgegeben und fügt sich in
seine Rolle als Zuhörer. Vom Schutz erhaltenswerter
Gebäude ist er bruchlos zu seinem Lieblingsthema ge-
sprungen: sich selbst. Mit erstaunlicher Präzision wie-
derholt er die Rede von Personalvorstand Köther an-
lässlich seiner Verrentung, von der er erzählt, als sei sie live im Fernsehen übertragen worden. Er wandelt
Köthers Text allerdings insofern ab, als in seiner Fas-
sung sämtliche Erfolge und strategischen Volten des
Unternehmens auf seinen, auf Antonio Marcipanes
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visionären Ideen basierten. Diese hätten nicht nur das
Unternehmen, sondern vor allem ihn auf geradezu mi-
dasmäßige 1 Art reich gemacht.
«Menno 2 , Papa, jetzt halt doch endlich mal den Rand! Das ist wirklich unerträglich», bellt Sara plötzlich auf Deutsch dazwischen, aber Antonio lässt sich
nicht bremsen. Sein Auftritt entwickelt sich zu einer
Ansprache zur Lage der Nation (eigentlich jeder Nati-
on, jedenfalls ist nicht wirklich klar, welche er meint).
Dann kommt er schließlich auf seine wundervolle Ren-
te zu sprechen und darauf, dass er ein kluger Ge-
schäftsmann sei, der immer die richtigen Entscheidun-
gen getroffen habe, zum Beispiel die für diesen wun-
derbaren Schwiegersohn. Auf die Erklärung für dieses
freundliche Kompliment bin ich gespannt, aber Sara
fällt ihm ins Wort.
«Papa, hör auf jetzt mit dem Schwachsinn! Kein
Mensch will das hören», ruft sie auf Deutsch und
schmeißt den Wasserflaschendeckel quer über den Tisch.
1 Midas, der mythische König von Phrygien, verwandelte alles in Gold, was er berührte, was zwar kurzfristig zu Reichtum, aber langfristig dazu führte, dass er trotz seiner Schätze nichts zu essen hatte. Außerdem musste er mit Eselsohren herumrennen, die ihm der beleidigte Apoll verpasste, weil Midas seine Musik nicht mochte und die von Pan vorzog. Wenn heute alle Menschen Eselsohren hätten, die gerne «El Condor pasa» hören, ergäbe sich daraus eine wundervolle Marktlücke für die Hut- und Mützenindustrie.
2 Vermutlich geht dieses besonders im Rheinland gebräuchliche Wort auf «Mannometer» oder «Mannomann» zurück, welches oft auch mit «Ach Manno» und von Profis eben mit «Menno» abge-kürzt wird.
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Und ich: «Lass ihn doch, ist doch sehr lustig.»
Und er: «Siehste du, ibin lustig.»
Sara kocht: «Nein, du bist peinlich. Es sind bloß alle
höflich, merkst du das denn nicht?»
Das findet Ursula unangemessen. Sie verteidigt ihren
Mann selten, aber wer ihn angreift, greift auch sie an.
«Kind, jetzt ist es gut, der Papa macht doch nur Spaß.»
Onkels, Tanten, Nichten und Neffen verstehen mo-
mentan kein Wort. Da wissen die mal, wie ich mich
immer fühle. Sara zündet sich eine Zigarette an und
schaut mich wütend an. Als ob ich irgendwas dafür
könnte, dass ihr Vater Unsinn im Quadrat redet.
«Wowari?», fragt Antonio mit gespielter Zerstreut-
heit.
«Du sprachst gerade von deinem Schwiegersohn»,
sage ich, denn ich bin wirklich gespannt, was an mir so
wunderbar ist.
«Ahso, richtige», sagt Antonio, räuspert sich und
fährt auf Italienisch fort, damit alle etwas davon haben.
Er führt aus, dass er ja eigentlich gegen unsere Ehe ge-
wesen sei, weil es ja so eine moderne Ehe ohne Kinder
und er natürlich sehr konservativ sei. Kunstpause.
Schließlich habe er aber eingewilligt, weil in einer mo-
dernen Ehe keine Mitgift gezahlt werden müsse. Er,
Antonio, habe sich also mit diesem wunderbaren (er
betont es so, als meine er wunderbar bescheuerten)
Burschen viel Geld gespart. Man lacht. Sara wird rot.
Sie weiß, und Ursula weiß, und ich weiß es auch, dass
er ihren Bausparvertrag, welcher einmal mit großer
Geste als Mitgift angelegt wurde, eines Tages und ohne
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große Umstände einfach aufgelöst hat, um eine Auto-
reparatur davon zu bezahlen. Für Sara ist das Maß jetzt
langsam voll. Nicht nur, dass sie nichts in unsere Ehe
einbringen konnte – was mich nie groß beschäftigt hat,
weil ich genauso viel eingebracht habe –, nun brüstet
sich ihr Vater auch noch mit dieser traurigen Tatsache.
Und weitergeht’s.
Seine Sara sei ja ohnehin schwer vermittelbar
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