Antonio im Wunderland
Italien fahren. Leider können wir auf
dem Rückweg kaum Flohmarktkrempel, Keramik, Je-
susse am Kreuz oder andere landestypische Spezialitä-
ten mitnehmen, weil meine Matratze so viel Platz bean-
sprucht. Sara ist darüber verstimmt, aber das sind nun
einmal die Kompromisse, die sie eingehen muss. Dafür
fahre ich, ohne zu meckern, Tausende von Kilometern
im Dienst des Familienfriedens hinter italienischen
Lastwagen auf mautpflichtigen Straßen. Bei Nonna
Anna bleibt die Matratze übrigens im Wagen. Ich gelte
bei ihr ohnehin schon als wunderlich, da muss ich
nicht auch noch meine eigene Bettstatt in ihre Woh-
nung wuchten. Normalerweise bleiben wir ein paar Ta-
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ge bei ihr und beziehen dann ein Ferienhaus für zwölf
bis achtzehn Personen, wo ich die Matratze auf den
Boden lege. Meine Frau schläft sehr gut in den italieni-
schen Betten. Das sind die Gene, glaube ich.
Früher fuhren wir mit Antonio im Konvoi von
Deutschland nach Italien, aber das halte ich nervlich
nicht mehr durch. Antonio ist das, was man einen de-
fensiven Fahrer nennt. Man könnte auch Schlafmütze
dazu sagen, wenn man nicht verwandt wäre. Er fährt so
langsam, dass man den Eindruck hat, die Landschaft
zöge am Fenster vorbei und nicht er an der Landschaft.
Er reist wie eine Wolke. Wer mit ihm fährt, muss an je-
dem Autogrill halten. Dann macht er Dehnübungen
und kauft Lemonsoda und focaccia. Das ist ein humorlo-ser Weizenmehlfladen, der mit allerlei Unsinn belegt
wird, von dem man Verstopfung bekommt und Durst.
In Campobasso angekommen, erwartet uns ein kleines
Empfangskomitee. Nonna Anna kneift allen in die
Wangen, besonders mir. Dann macht sie Kaffee in ei-
ner großen Aluminiumkanne. Sara und ich richten uns
im Gästezimmer ein, wo ich wie immer das Bild mit
dem weinenden Jungen umdrehe, damit ich später
besser schlafen kann. Antonio und Ursula schlafen bei
Tante Maria und Onkel Egidio. Nach und nach trudeln
die wichtigsten Verwandten ein, und am Ende sind wir
zu zwölft beim Abendessen, das stilecht unter einer
Neonlampe eingenommen wird. Darüber zischt das
Insektenkrematorium, wenn eine Mücke hineinfliegt
und verglüht.
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Ich sitze neben Onkel Egidio, einem Baum von ei-
nem Mann mit Händen wie Tischtennisschläger. Ich
mag ihn, weil er so komische Geschichten erzählt und
mich immer auf Deutsch begrüßt: «Guten Tack, Blitz-
krieg Kartoffel.» Das ist sein Name für mich, ich heiße
Blitzkrieg Kartoffel. Obwohl ich im Laufe der Zeit ru-
dimentäre Kenntnisse des Italienischen erworben habe,
muss Sara für mich übersetzen, denn hier wird ein Dia-
lekt gesprochen, der nur noch die allernötigsten Kon-
sonanten gebraucht, der Rest wird verschluckt oder
ausgehustet. Nach den Nudeln und vor dem Kotelett
unterhalten wir uns, das heißt, alle reden durcheinan-
der, und ich lächle dazu. Sara gibt sich die größte Mü-
he, für mich die wesentlichen Fäden dieses Stimmen-
gewirrs in der Hand zu behalten, aber es gelingt ihr
meistens nicht. Nur wenn Nonna Anna etwas sagt,
schweigt der Rest der Familie. Das ist ein großes Privi-
leg, von dem sie leider zu selten Gebrauch macht. Sie
erzählt die Geschichte von dem Konditor, der jüngst
einen Verlobungsring in eine Torte einbacken sollte.
Der Mann, der die Torte bestellt hatte, brachte sie
seiner Freundin, und gemeinsam aßen sie die Torte.
Leider kam der Ring dabei nicht zum Vorschein. Der
junge Mann fühlte sich betrogen und ging zu dem Kon-
ditor, um das Schmuckstück zurückzufordern. Der
Konditor schwor aber, den Ring in die Torte getan zu
haben.
Am nächsten Tag erschien eine Frau mit zwei Poli-
zisten in der Konditorei. Die Polizisten sollten den
Konditor verhaften, denn dieser, so zeterte die Dame,
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hatte ihren Hund auf dem Gewissen. Der Hund, ein
Dackel mit Namen Atollo, war nach dem Verzehr der
Torte verschieden. Dem Konditor schwante, wo der
Verlobungsring steckte, und bat die Frau, Atollo obdu-
zieren zu lassen, was diese gegen Zahlung eines
Schmerzensgeldes erlaubte – und tatsächlich hatte der
Hund den Ring verschluckt. Der Konditor säuberte den
Ring und gab ihn dem Mann zurück, der ihn noch am
selben Tag seiner Braut an den Finger steckte – ohne zu
wissen, dass der Ring zwei Tage in eines toten Teckels
Speiseröhre gesteckt hatte. Alle sind sich einig, dass
dies ein böses Omen für die Ehe ist.
Dann kommen die Schweinekoteletts. Ich habe mich
längst daran gewöhnt, dass man
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