Antonio im Wunderland
nötig,
hob die Hand und grüßte läppisch, öffnete zwar den
Mund, sagte aber nichts.
«Iste der arme Jung stumm? Stumm vor Gluck? Äh?»
Rolf trat einen Schritt vor und wiegte den Oberkör-
per nach links und rechts wie eine Pappel im Wind.
«Hallo. Ich bin der Rolf», sagte Rolf.
«Weißi schon. Setze dimal her.»
Rolf sah erschrocken Richtung Sara, die mit flehendem
Blick zu ihrer Mutter hinübersah. Aber die zuckte bloß
mit den Schultern. Irgendwie schien es ihr sogar recht zu
sein, dass Antonio Rolf auf den Grill legte. Rolf setzte sich und legte seinen Mofahelm neben sich auf den Boden.
«Was willste du mit meine Tochter anfangen, da oben
in Zimmer?»
«Anfangen? Nichts?»
«Nix? Luge!»
1 Es handelt sich dabei bis heute um Altbier, wie man es am Niederrhein trinkt. Antonio ist kein Pilstrinker. Bier heißt bei ihm immer «ein lecker Bierken».
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«Also nichts Schlimmes.»
Sara bekam rote Flecken. Sie wünschte sich nichts
mehr, als dass Rolf mit ihr anstellte, was ihr Vater als
schlimm bezeichnete.
«Abtier gekusst?»
«Ja, natürlich.»
«Und? Gut?»
Um Himmels willen! Papa!
«Ja, war super.»
Um Himmels willen! Rolf!
«Ah, war super, ja? Du haste meine Kind gekusst und
nun willste du mehr, was?»
«Nein, nicht unbedingt.» Was hätte Rolf denn auch
sonst darauf sagen können? Er schlug sich so, wie sich
ein Sechzehnjähriger in solchen Situationen eben
schlägt: miserabel.
«Was heißte nein? Gefällt dir nicht meine Tochter?
Iste zu hässelick?»
«Nein, ganz im Gegenteil. Ich finde sie toll.»
«Wenn du sie tolle finds, dann musst du der Offensi-
ve gehen, mein Jung.»
«Danke für den Tipp.» Antonio hob missbilligend
die Augenbrauen.
«So. Anderer Thema. Was machte der Vater?»
«Mein Vater?» Rolf sah sich schutzsuchend nach
Sara um, die die Hände vors Gesicht hielt. «Wir haben
eine Bäckerei.»
«Ah, die backen kleine Brötchen zu Haus, was», rief
Antonio und stimmte ein sirenenartiges Geheul von ei-
nem Gelächter an. Rolf stand auf.
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«Ich muss jetzt gehen», sagte er. «Es ist ja schon
spät.»
Antonio winkte ihm zu und sagte: «Is gut, geh du
mal. Ciao.»
«Auf Wiedersehen», sagte Rolf und verschwand
schnell im Flur, begleitet von Sara, die ihm bis an die
Tür folgte. Er gab ihr einen kurzen Kuss auf den Mund
und ging. Er kam nie wieder. Als Sara ins Wohnzimmer
kam, erfreute sich Antonio immer noch an seinem Spit-
zenwitz und nahm einen Schluck Bier.
«Das vergesse ich euch nie», schrie sie. «Vielen
Dank, Papa.»
«Wirst noch dankbar sein fur mein Wissen von der
Menschen. Der Kerle da iste ein Arschlock, glaube mir.»
Später musste Sara zugeben, dass ihr Vater Recht
hatte. Rolf erzählte überall eine ganz besonders gemei-
ne Version seiner Begegnung mit dem bekloppten
Herrn Marcipane herum und vergaß nie zu erwähnen,
dass Sara frigide sei.
Als er ein paar Wochen später nach der Schule zu
seinem Mofa kam, war es nicht mehr grün, sondern
rosa. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, es komplett
umzulackieren – während der Schulstunden. Der Täter
wurde nie gefunden. Als Sara das erzählt, muss sie la-
chen.
«Er war natürlich auch ganz wunderbar», sagt sie.
Antonio war ihr Trainer, als sie Volleyball spielte, und
pritschte stundenlang Bälle mit ihr durch den Garten.
Er kam zu jedem Spiel und feuerte sie an, bis sie ihn
bat, damit aufzuhören. Er reparierte Fahrräder und ta-
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pezierte die Zimmer seiner Töchter jedes Jahr neu, da-
mit sie es schön hatten.
Am Nachmittag gehen wir zurück zu Nonna Anna. An-
tonio und Ursula sind nicht da, sie besuchen den Neu-
geborenen Primo, der von Antonio in vorausschauen-
der Großzügigkeit einen Tennisschläger geschenkt be-
kommt. Als wir ins Gästezimmer kommen, liegt auf
ihrem Kissen eine riesige Schokoladenbombe in Zello-
phan. Das Ding wiegt drei Kilo, und wenn es nicht
schmilzt, können wir bis an unser Lebensende davon
zehren.
100
SEI
Schließlich entwickelt sich der Urlaub doch noch sehr
schön, auch für Sara, die ihrem Vater versucht zu ver-
zeihen. Es bleibt ihr und mir nichts anderes übrig, als
ihn zu lieben, und die ganze Familie dazu. Diese krat-
zigen Kerle, von denen man nie genau weiß, was sie
eigentlich beruflich machen. Und ihre Frauen, deren
Hüften erst schmal, dann rund und irgendwann, so
nach dem dritten Kind, riesig werden. Wie bei Biben-
dum. 1 Sie können unglaublich sauer gucken, diese Frauen, aber meistens
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