Antonio im Wunderland
prüfe nicht, ob Ihre Tochter sich mit ihrem
Freund verträgt, sondern ob sie die Pille verträgt», sagte Kunz nun ganz leicht genervt.
«I wurde das nickt nehmen.»
«Sie sind auch keine Frau.»
«Es ist gegen unserer Glauben», versuchte es Anto-
nio in liturgischem Crescendo. Der Katholizismus als
letzter Weg, eine von Antonios stumpfsten Waffen,
denn es gibt wirklich kaum jemanden, der aus so we-
nig Glaubenspraxis so viel moralische Überlegenheit
schöpft wie er.
«Willst du, dass ich schwanger werde, Papa?»
«Nein, will nicht, will vor allem nickte, dass du mit
der Pickelgesickte mit der grüne Mofa in Bett landest.»
«Herr Marcipane, worum geht es Ihnen eigentlich?
Sind Sie gegen die Pille oder gegen die Partnerwahl Ih-
rer Tochter?», fragte Kunz.
«Bin kein Freund von beides», sagte Antonio trotzig.
«Nun lass sie doch einfach mal in Ruhe», mischte
1 schwanger
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sich Ursula ein. «Sie muss schließlich ihre Erfahrungen
sammeln. Genau wie wir beide.»
Da winkte Antonio matt ab und fügte sich. Als der
Arzt seine Tochter untersuchte und diese sich dafür
auch noch untenrum entkleiden sollte, verließ er unter
Protest und Mitnahme seiner Gattin das Sprechzimmer
und setzte sich neben eine ältere Frau, der er erklärte,
dass der Arzt da drin seine Tochter verdorben hätte. Die
Frau verließ daraufhin die Praxis.
Sara nahm nun die Pille, jedenfalls drei Tage lang.
Dann war sie weg. Sie fand die Packung im Keller hinter
den Dosenpfirsichen und stellte ihren Vater zur Rede.
«Wie kommen meine Pillen hinter die Pfirsiche, Papa?»
«Weißi nickte.»
«Lässt du sie bitte einfach, wo sie sind?»
«Das iste mein Haus, kanni der Sachen tun, woi
will.» Seine Tochter würde keinen Sex haben, wenn sie
keine Pille hatte, dachte er wahrscheinlich. Jeder Tag,
an dem er sie an der Einnahme hindern würde, wäre
ein gewonnener Tag. Von ihm aus konnte das noch
zehn, elf Jahre so gehen. Tatsächlich aber gelang es
ihm nur noch einmal, die Packung verschwinden zu
lassen (im Heizungskeller), danach versteckte Sara ihre
Pille selber und nahm ihrem Vater so die Möglichkeit,
ihre Familienplanung zu beeinflussen.
Nachdem ihre Schwester so erfolgreich gewesen
war, ließ auch Lorella sich die Pille verschreiben, und
ganz allmählich verebbten die Mahnungen des Vaters.
Antonio beschränkte sich nun darauf, die äußere Er-
scheinung seiner Töchter zu geißeln und deren Freun-
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de fürchterlichen Prüfungen zu unterziehen. Als erster
war Rolf an der Reihe.
Ein abendlicher Besuch bei den Marcipanes führte einen
Jungen niemals direkt in das Allerheiligste von Saras
Zimmer, sondern immer und unweigerlich zunächst ins
Wohnzimmer, wo Antonio ihm auf den Zahn fühlte.
Rolf war ein Fußballtalent, reich gesegnet mit dunk-
lem Haar und Pickeln, unter der unebenen Haut aber
scheinbar rein und ohne Arg und vor allem ausgestattet
mit einer mühsam gezügelten Libido, die bei Sech-
zehnjährigen einfach ausbricht und machen will, wozu
sie da ist. Rolf und Sara hatten schon eine Weile etwas
miteinander, es war zu Nahkämpfen gekommen, in de-
ren Verlauf er einige wichtige strategische Stellen bei
Sara erobert hatte. Letztlich hatte sie die Schlachten
aber immer für sich entschieden und ihre Jungfräulich-
keit verteidigt. Als sie ihm nun eröffnete, dass sie die
Pille bekommen hatte, suchten sie nach einer passen-
den Gelegenheit, dem richtigen Ort, der perfekten
Stimmung. Aber immer störte irgendwas, es lief nicht
richtig, es funktionierte einfach nicht, und bald wurde
Rolf ungeduldig. Eines Abends entschloss er sich, Sara
abends zu besuchen und – die Sache nötigenfalls zu
beenden. Kuss oder Schluss.
Er rief an, um sich mit ihr zu verabreden, und er-
schien gegen 20 Uhr. Sara war blitzschnell an der Tür.
Sie bat ihn leise hinein, aber natürlich hatte Antonio die Türglocke gehört, nicht umsonst hatte er sie vor einiger
Zeit auf höchste Lautstärke gestellt.
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«Saaaraaaa», hörten sie ihn aus dem Wohnzimmer
rufen. Und nochmal: «Saaaraaaa!»
Sara nahm ihren Rolf an die Hand und ging ins Wohn-
zimmer, wo die Nachrichten liefen. Antonio saß mit einer
geöffneten Flasche Bier 1 auf der Couch und lächelte Sara an. Ursula saß auf einem Sessel und lies die Zeitschrift
sinken. Sie sah Rolf an wie ein Bund unreifer Bananen.
«Oooh, wir aben Besuch.»
«Das ist Rolf. Rolf – meine Eltern.»
Rolf, der nicht vorhatte, länger zu bleiben als
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