Antonio im Wunderland
elementaren Angelegenheit den Schwanz einzu-
ziehen. Was tun? Er konnte nun herumbrüllen, Strafen
androhen, sich beleidigt zurückziehen und zwei Wo-
chen nicht mit seiner Tochter und seiner Frau reden.
Antonio entschied sich nach angemessener Bedenkzeit
dafür, zu tun, was man einen emotionalen Überra-
schungsangriff nennt: Er begann zu weinen.
«Mama, was ist denn jetzt los?», fragte Sara, die mit
allem, aber nicht damit gerechnet hatte.
«Antonio, was hast du?», fragte Ursula.
«I bin einsam und traurig», entgegnete Antonio, der
seine Sache immerhin so gut machte, dass Sara eben-
falls anfing zu heulen.
«Ihr lasst der arme Vater hier zu Haus zurucke und der Mädchen geht mit ein fremde Mann.»
«Ach, Antonio, jetzt hör aber mal auf», sagte Ursula.
«Kein Mensch lässt dich alleine irgendwo zurück.»
«Gut, dann kommi mit zu der Doktor da.»
Also ging Sara nicht heimlich mit ihrer Mutter zum
Frauenarzt, sondern offiziell mit ihren Eltern. Unter-
wegs erholte sich Antonio von seinem Kummer und
presste Sara ab, ihre zukünftigen Geschlechtspartner
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vorher kennen zu lernen, um sie vor den schlimmsten
Reinfällen bewahren zu können. Immerhin sei er ein
«tsükologise Ass» und ein perfekter Menschenkenner.
Ich weiß nicht, wie lange sie das wirklich gemacht hat,
aber am Anfang auf jeden Fall. Zum Glück habe ich sie
erst kennen gelernt, als sie schon Mitte zwanzig und
aus Antonios Radar verschwunden war.
Beim Arzt setzte sich Familie Marcipane weisungs-
gemäß ins Wartezimmer, wo Antonio sofort nach ita-
lienischen Zeitschriften suchte und keine fand. Sara
sah aus dem Fenster, und Ursula hielt ihre Hand, bis
die ganz feucht war. Als Sara aufgerufen wurde, stand
Antonio wie selbstverständlich auf und sagte: «Hier das
sinde wir.»
«Papa kommt nicht mit rein», sagte Sara und wusste,
dass es zwecklos war. Antonio befand sich schon auf
dem Weg ins Sprechzimmer, wo er seine Mütze ab-
nahm, Doktor Kunz unterwürfig begrüßte und sich
hinsetzte, die Mütze auf dem Schoß. Nachdem Sara
und Ursula ebenfalls Platz genommen hatten, sagte der
Arzt: «Das ist ein wenig ungewöhnlich, dass Sie hier
sitzen.»
Antonio drehte sich um und stellte dann fest, dass er
gemeint war. «Warum?», fragte er.
«Ich bin Frauenarzt. Ich glaube nicht, dass ich etwas
für Sie tun kann», erwiderte Kunz.
«Das iste meine Tochter», beharrte Antonio.
«Aha. Nun gut. Wenn ich Ihre Tochter untersuche,
werden Sie trotzdem bitte draußen Platz nehmen.»
«Untersuche? Was wolln Sie da untersuche. Meine
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Tochter fehlte nickts, ist kerngesunde und nur bisken
verruckte.»
«Herr Marcipane, selbst wenn sie nicht gesund wäre,
würde ich das jetzt nicht mit Ihnen besprechen.» Und
dann, zu Sara gewandt: «Was kann ich für Sie tun?»
Bevor Sara antworten konnte, ergriff Antonio wieder
das Wort: «Sie will der Pille gegen der Kinder und ge-
gen der Wille von mir.»
«Ich verstehe», sagte der Arzt, «aber ich habe nicht
mit Ihnen gesprochen. Sie möchten ein Antibabypillen-
rezept?»
Sara nickte.
«Sie iste zu jung», jammerte Antonio. Sara befürchte-
te, dass er hier vor dem Frauenarzt abermals anfangen
könnte zu weinen, und sagte daher schnell: «Ich will
nur ganz sicher sein, falls mal was passiert. Aber ich
mache keine Dummheiten.»
«Verstehe», sagte der Arzt und machte sich Notizen.
Dann erklärte er die Wirkungsweise und weitere Arten
der Empfängnisverhütung. Antonio hörte sehr interes-
siert zu, denn er kannte eigentlich nur zwei Methoden,
nämlich Kondome und rechtzeitig rausziehen. Ersteres
lehnte er aus ästhetischen und praktischen Gründen
ab, Letzteres hatte ihm immerhin nur zwei Kinder be-
schert, eine ganz gute Quote, wie er fand.
«In dem Alter ist es unter Umständen ganz vernünf-
tig, die Pille zu nehmen», sagte Kunz, «die Mädchen
sind da viel klüger als gleichaltrige Jungen. Wir werden
das ausprobieren und erst einmal die Verträglichkeit
testen.»
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«Äh? Sie! Ciarlatano !», rief Antonio. «Wie wollen Sie der Verträglickeit von der Kinder testen? Wenn sie gut
vertragen, heißte sie werd incinta 1 oder was?» Er zeigte auf den Arzt wie ein Staatsanwalt auf den Angeklagten.
Dann führte er aus, dass es nur einen Menschen auf der
Welt geben könnte, der wirklich beurteilen könne, ob
Sara und Werauchimmer sich vertragen und füreinan-
der bestimmt sein könnten, und das sei er, Antonio
Marcipane, und damit basta .
«Ich
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