Antonio im Wunderland
ständig, und Fabio
sagt, dass er einen Sonnenbrand oder ein nettes Mäd-
chen aus Umbrien kennen gelernt habe. Beide wissen,
dass das nicht stimmt, aber keiner würde jemals eine
Silbe darüber verlieren. So läuft das. Normalerweise.
Meine erschütterte Reaktion gibt Marco zu denken.
«Der arme Kerl muss die ganze Zeit alleine in seiner
dunklen Bude rumsitzen? Das ist doch furchtbar!»
«Ich weiß nicht. Er will es doch so.»
«Meinst du, er ist sauer, wenn wir ihn besuchen?»
«Ich weiß nicht, man macht das nicht.» Dann
kommt ihm eine Idee. Er wählt Fabios Nummer.
«Sag mal, wie wäre es, wenn wir dich auf Sardinien
besuchen kämen?»
Fabio gibt ihm eine längere Antwort, die ich nicht
verstehe.
«Wir könnten Getränke mitbringen. Brauchst du
sonst noch etwas auf Sardinien?»
Marco notiert sich einen kleinen Einkaufszettel. Sie
verabschieden sich, und wir gehen zum Supermarkt.
Die Sache ist sehr kompliziert. Wir können ihn besu-
chen, dabei darf aber sein Zuhausebleiben nicht thema-
tisiert werden. Wir sollen ganz selbstverständlich bei
ihm reinmarschieren, und wenn wir gehen, soll unaus-
gesprochen klar sein, dass wir ihn nicht verraten. Das
fühlt sich für mich nach Agentenfilm an, aber Marco ist
ganz ernst dabei.
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Wir kaufen im Supermarkt bei Cousin Paolo ein. Bei
dem war ich auf der Hochzeit. Er hat sich einen Bart
wachsen lassen. Jetzt sieht er fast aus wie seine Frau.
Das ist die, die gerade einen gewissen Primo zur Welt
gebracht hat. Paolo küsst mich ab und verkauft uns
dann Rasierklingen, Brot, etwas Obst, Kalbsschnitzel,
Geschirrspülmittel und Kondome. Letztere hat Fabio
nur in Auftrag gegeben, um Marco zu ärgern, denn er
weiß, dass Marco nirgendwo preisgeben wird, für wen
der Einkauf ist. Ganz klar, dass Paolo die Präservative
an der Kasse kommentiert: «Menschenskind Marco,
sind die nicht eine Nummer zu groß für dich?» Dann
holt er einen Luftballon aus einer Papiertüte hervor und
gibt ihn Marco in die Hand. «Hier, das ist der richtige
für dich. Viel Spaß.»
Auf dem Weg zu Fabio schärft Marco mir noch ein-
mal ein, die Situation keinesfalls durch falsche Fragen
zu verschärfen. Wir halten vor Fabios Wohnung. Er lebt
in einem der kleinen Altstadthäuschen unterhalb der
Burg. Vor dem Haus steht seine Vespa, abgedeckt mit
einer grauen Plastikfolie. Keiner da, soll das heißen.
Die Fensterläden sind geschlossen, aber das will nichts
bedeuten, dass ist hier immer so, auch bei den Nach-
barn. Marco klingelt, nichts tut sich.
«Er weiß doch, dass wir kommen!?», frage ich.
«Ja, er weiß es, aber wenn er sofort aufmachen wür-
de, könnten wir denken, dass er scharf auf unseren Be-
such ist.»
Wir warten. Die Tüte mit den Einkäufen schneidet in
meine Hände, also stelle ich sie auf die Straße, die
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nicht asphaltiert ist, sondern aus großen Steinquadern
besteht, deren Kanten abgerundet sind. Schönes, ab-
genutztes Straßenpflaster. Ich habe reichlich Zeit, es
mir anzusehen, denn in der ersten Etage tut sich –
nichts. Marco wirft ein paar kleine Steine gegen die
Fensterlädchen, die einen unvermutet großen Krach
machen. Schließlich wird ihm das zu blöd, und er ruft
seinen Freund auf dem Handy an.
«Fabio? Was zum Schwanz 1 machst du denn da in deiner Wohnung? Natürlich sind wir das, wer denn
sonst? – Jetzt mach die Tür auf.»
Der Summer summt, wir gehen rein. Fabio empfängt
uns in einer Art Kimono, den er aber nicht geschlossen
hat. Darunter trägt er eine schwarze Unterhose und
sonst nichts. Obwohl er seit über einer Woche Tag und
Nacht in der abgedunkelten Wohnung verbringt, sieht
seine Haut nicht blässlich aus, im Gegenteil. Er hält ein
Glas Eistee in der Hand und begrüßt uns überschwäng-
lich. Dann setzen wir uns ins Wohnzimmer, wo der
Fernseher und eine kleine Höhensonne ein sehr mabu-
sehaftes Licht verbreiten. Fabio baut einen Joint. Ihm
dabei zuzusehen macht mehr Spaß, als das Ding zu
rauchen, denn was da genau verbrennt, kann man nicht
mit Sicherheit sagen. Tee? Alte Bananenschale? Socken?
Marco erzählt ihm von unserer Absicht, später am
1 Wörtliche Übersetzung des ziemlich derben Ausdrucks «Che cazzo fai?» . Wird oft benutzt. Man bekommt aber zu Hause Ärger, wenn man es beim Essen sagt. Bedeutet so viel wie «Was zum Teufel machst du?»
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Tag nach Termoli, dem wunderbarsten Ferienort Ita-
liens, zu fahren. Wir werden zu achtzehnt sein. Und
Fabio? Was hat
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