Antonio im Wunderland
das doch klappen. Aber überall blitzen
wir ab, außer bei den italienischen Tischen, aber die
sind schon so voll, da passen wir nicht mehr hin. Wir
landen nach einer ganzen Weile bei einer Runde von äl-
teren Herrschaften in Tracht, die Mitleid mit uns haben.
Wir setzen uns also, und schon nach einem knappen
halben Stündchen kommt unser Bier, welches mit
Rücksicht auf die Kondition der Italiener nur maßvoll
eingeschenkt wurde. Es ist ja Festbier und hat mehr Al-
kohol als normales Bier, also werden die Gläser auch
nur halb voll gemacht. Ich würde mich ja beschweren
und dann ehrenvoll rausfliegen, aber wenn die erschüt-
ternde Schankmoral meinem Besuch egal ist, ist sie mir
eben auch egal. Wir prosten den Senioren aus Landshut
zu, von denen einer früher schon mal beruflich in Ita-
lien war, wie er sagt. Was er denn da in Italien beruflich gemacht habe, fragt Marco, und der Mann sagt: «Ge-freiter im Nachschubbataillon.»
Es ist so ungefähr elf Uhr, und langsam wird die Luft
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schlecht, was in Bayern immer ein besonderes Indiz für
saumäßige Gemütlichkeit ist. Vor mir steht ein Bier,
und neben mir steht Francesco, der die Hände in Luft
reißt und brüllt: «Jaaaaaa, erlepp nock, erlepp nock, er-
lepp nock, stibte nie!» Worum es denn in diesem lusti-
gen Lied gehe, das hier alle immer singen, werde ich
gefragt. So genau weiß ich es gar nicht, also höre ich
zu und entnehme dem Text Folgendes: Irgendwie gibt
es da im Sächsischen eine Art Forst-Zombie, der im
Verlaufe des Liedes immer kränker und kränker und
siecher und siecher wird und schließlich stirbt, nach-
dem er im Flur gestürzt ist. Am Ende wird sein Grab
besucht, aber der tote Holzmichl liegt nicht darin, ist
verschwunden und also offenbar doch nicht tot. Insbe-
sondere den Umstand, dass dieses morbide Lied Anlass
für ausgelassenste Fröhlichkeit bietet, finden meine
Begleiter skurril, und anstatt zu singen, bleiben sie
mehrere Minuten lang betroffen sitzen und starren in
ihr Bier.
Um meine Freunde aufzuheitern, hole ich Riesen-
brezeln. Ich liebe Riesenbrezeln. Sie verbinden sich im
Magen mit Bier zu einer kleisterartigen Substanz, mit
der man Tapeten an Wände kleben kann. Wenn man
will. Füttert man hingegen kleine Vögel mit diesen Bre-
zeln, fliegen sie wenige Meter weit und explodieren
dann. Lecker Brezeln. Dazu sollte man möglichst viel
Radi essen, also Rettich. Nach einer Stunde kann es
einem dann so gehen wie einem kleinen Vogel, bloß
ohne zu fliegen.
Das Schicksal des armen alten Holzmichl ist bald
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vergessen, zumal die Landser aus Landshut eine Runde
spendieren. Dann brechen sie auf, mit unsicherem
Schritt und ungewissem Ziel. Meine Freunde und ich
singen den nächsten Holzmichl ihnen zu Ehren mit
abgewandeltem Text: «Lebt denn der alte Wehrmachts-
soldat …?»
Wenig später kommen vier lustige Frauen aus Oer-
Erkenschwick und fragen, ob bei uns noch Platz sei.
Aber natürlich, gerne, immer. Meine Übersetzungsma-
schine läuft nicht mehr rund, das mag am Alkohol lie-
gen. Und ich habe ein beständiges Summen im Kopf,
dagegen trinke ich an. Marco, Franceso und Furio las-
sen es sich nicht nehmen und laden die Damen zu ei-
nem Getränk ein. Nach jedem Lied tauschen wir die
Plätze, damit wir uns alle besser kennen lernen.
Um 12:10 sitze ich neben Angelika. Sie spricht so,
wie man in Oer-Erkenschwick spricht, und hat ein bay-
erisches Dirndl an, wie man es nur in Oer-Erken-
schwick kaufen kann. So richtig hübsch ist sie nicht,
aber na ja, was soll’s.
12:46. Wir singen.
13:21. Angelika hat ganz schön große Dinger.
13:59. Ich finde Angelika eigentlich doch sehr nett.
Sie kann toll singen. Ich bin sicher: Mit der kann man
Pferde stehlen. Oder zumindest Pferdeäpfel.
14:04. Ich glaube, da geht was.
14:09. Wir stoßen an und trinken. Danach wird mir
klar: Ich habe mich geirrt. Eigentlich sieht Angelika
super aus!
14:24. Angelika und ich sind ein Paar. Wir werden
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gemeinsam durchbrennen und im Hartz IV-Bezieher-
Fernsehen auftreten, wo wir auf kleinen Kunstlederses-
selchen sitzen und berichten, wie wir uns kennen ge-
lernt haben. Der Moderator wird als Überraschung
meine Noch-Frau Sara hinzubitten, und die wird sagen,
dass so eine Party-Beziehung niemals hält. Wenn ich
also demnächst nach Hause käme, würde sie das
Schloss ausgewechselt haben. Angelika und ich werden
aber nur lächeln, denn wir wissen, dass wir
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