Antonio im Wunderland
Zur Erinnerung habe er ein
Bild für mich gerahmt. Es zeigt vier Männer vor einer
Losbude. Drei von ihnen tragen Wanderschuhe, ziem-
lich lächerliche Hüte und riesige Lebkuchenherzen. Sie
haben einander die Hände auf die Schultern gelegt und
strahlen wie Oscargewinner. Zwischen ihnen steht ei-
ner ohne Hut und ohne Herz: Ich. Bei diesem Anblick
komme ich mir plötzlich schäbig vor.
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ACHT
Sechs Monate nach Antonios Verrentung ist es voll-
bracht: Sein. Haus. Ist. Abbezahlt. Finanzmagier und
Superchecker werden jetzt sagen, dass hinter diesem
Rückzahlungsplan offenbar kein großes kaufmänni-
sches Geschick steht. Wer klug handelt, hat sein
Heim bereits fünf Jahre vor der Rente abbezahlt und
nicht erst ein halbes Jahr danach. Ist das Haus recht-
zeitig abgestottert, kann man sein Geld in die dann
notwendigen Reparaturen (kaputtes Dach, kalte Hei-
zung, feuchter Keller) stecken. Antonio muss damit
noch ein wenig warten, er hat auch gar nicht vor, den
vermoosten Garten zu erneuern oder die Waschbe-
tonplatten vor dem Haus gegen Holzbohlen oder
Kopfsteinpflaster einzutauschen. Er genießt erst ein-
mal seinen Reichtum, immerhin hat er jetzt viel mehr
Geld zum Ausgeben. Aber wofür? Er wird diese Fra-
gen sicher nicht entscheiden, ohne mich zu konsul-
tieren.
Eigentlich rechne ich immer mit Anrufen von Anto-
nio, der mir dann dringende Dinge aus seinem Leben
erzählen muss. Schon ein Dreier im Lotto verschafft mir
das Vergnügen einer halbstündigen Berichterstattung
über die dramatische Ziehung, bei der er zuerst dachte,
dass er gar nichts gewinnen würde, denn erst sei die 17
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gekommen, nein, die 22 und dann die 4 oder 5. Nein:
erst die 5 und so weiter und so weiter.
Antonios Prophezeiung, dass er einen Plan zur Ret-
tung der alten Häuser von Campobasso habe, und der
Blick, den er mir dabei im Urlaub zugeworfen hat, habe
ich vergessen. Als er anruft, bin ich absolut arglos.
«I bin reich», heult es frohgemut aus dem Hörer. Er
macht sich nie die Mühe zu sagen, dass er dran ist. Wa-
rum auch, ich erkenne ihn ja ohnehin sofort.
«He, alter casinista , wie geht’s?»
«I bin reich», wiederholt er, ohne aus dem Sirenen-
modus zu gehen.
«Ich hab’s gehört. Hast du im Lotto gewonnen?»
«Näää, nix gewonne, alles mit Händer voll Arbeit
selbste verdiente.»
Mit Händer voll Arbeit, soso.
«Was ist los?»
«Habi der Bude abgezahlte.» Seine Stimme steigert
sich noch einmal dramatisch «Ach so.» Jetzt ist der
Groschen gefallen. Ich sage ihm, er könne sich doch
nun endlich mal eine schöne Uhr kaufen, aber er lehnt
mit den wundervollen Worten «’ ne goldene Huur? Nee,
magi nick» ab. Sein Auto ist auch erst zwei Jahre alt,
und zu verwöhnende Enkelkinder sind unterwegs oder
in Planung, aber noch nicht da. Aber was soll ich mir
seinen Kopf zerbrechen? Er wird schon eine Möglich-
keit finden, seinen Sozialstatus zu heben.
«Wir macke ein schön Reise», föhnt es aus dem Tele-
fon.
«Das freut mich aber für euch.»
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«Wir beide macke der Reis, Ursula bleibte zuruck
und bewachte der Haus.»
«Du willst mit mir verreisen?» Ich fühle mich auf
Anhieb gerührt und geehrt, allerdings verunsichert
mich die ganze Chose auch ein wenig.
«Und wo fahren wir hin?», frage ich mit der größten
Vorsicht. Ich war gerade in Italien. Wenn er nach Ita-
lien will, soll er alleine fahren. Außerdem ist meine
Anzahl an Urlaubstagen begrenzt. Bei ihm war das
schon immer anders. Wenn sein Kontingent verbraucht
war, wurde er eben krank. So etwas kann man sich aber
heutzutage nicht mehr leisten. Wenn er also nach Ita-
lien fahren will, lasse ich mir was einfallen. Ich höre,
wie er am anderen Ende Luft holt. Dann kommt ein
Tsunami aus Emphase und Begeisterung aus der Mu-
schel geflutet: «Nach Amerikaaaa!»
«Wie bitte?» Ich bin starr vor Schreck. Das ist weit. Zu
weit, um einfach abzuhauen, wenn es einem zu viel wird.
«Amerikaaa», schreit er.
«Wann? Jetzt sofort?»
«Balde, in ein paa Wocke. Muss erste einmal genau
planen der Reis.»
«Aber warum ich? Und wohin genau? Und wieso
überhaupt?» Ich bin konfus, immerhin habe ich es hier
mit einem Menschen zu tun, für den bereits die wö-
chentliche Fahrt zum Altglascontainer eine gewaltige
logistische Herausforderung darstellt. Und nun Ameri-
ka. Au Backe!
«Du musst kommen, bitte, ist ein wichtiger Reise fur
mich. Also brauchi di dringende.»
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Das klingt wirklich nach
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