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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Antonio eingela-
    gert. Lorella und er gingen damals für zwei Jahre im
    Auftrag seiner Firma nach Asien. Jürgen ist Ingenieur
    und kann von Dingen sprechen, deren bloße Existenz
    so rätselhaft ist, dass mir jedes Mal vor Begeisterung
    die Augen zufallen, wenn er davon anfängt. Jedenfalls
    besaß er damals eine wunderbare Sammlung mit zum
    Teil überragenden Jahrgängen. Er übergab Antonio
    mehr als zweihundert Bouteillen 1 – wie der Önologe sagt – zur Aufbewahrung, weil der marcipanesche Keller genau die richtige Temperatur und Luftfeuchte hat
    und er außerdem auf diese Weise zum Ausdruck brin-
    gen wollte, dass er seinem Schwiegervater – obwohl
    dieser Italiener ist – vertraute. Um zu verhindern, dass
    sein Schwiegervater sich an der einen oder anderen Fla-
    sche vergriff, sagte Jürgen ihm nachdrücklich, dass
    sein Wein ausschließlich zu besonderen Anlässen ge-
    trunken werden darf. Und daran hat Antonio sich
    gehalten. Als Lorella und Jürgen eintreffen, sind noch
    genau elf Flaschen da, für die Antonio bisher keinen
    besonderen Anlass gefunden hat.
    Jürgen begrüßt mich mit einem kernigen Hand-
    schlag und raunt mir zu: «Viel Spaß in Amerika.» Lorel-
    la umarmt mich, soweit ihre Plautze dies zulässt, und
    freut sich. Sie ist ein Mensch, der so etwas auch sagt:

    1 Das Word-Rechtschreibprogramm erkennt dieses Wort an, ohne es zu unterstreichen. Seltsame Welt.
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    «Du, ich freu mich einfach», ruft sie. Sie gehört zu je-
    nem ulkigen Teil unserer Gesellschaft, der seine Ein-
    käufe auf ein Blatt Papier mit Kreisen stellt, damit die
    negativen Energien aus den Lebensmitteln weichen.
    Hinein kommen diese übrigens über den Warenscan-
    ner an der Supermarktkasse. Und sie lässt Steine in ihr
    Mineralwasser plumpsen.
    Seit neuestem hält sie sich beim Einschlafen einen
    Walkmankopfhörer mit Französisch-Lektionen an den
    Bauch, damit ihr Kind frankophil wird. Das fänd sie
    schön, da würde sie sich unheimlich freuen. Ich stelle
    mir vor, wie das Baby aus dem Bauch kommt und in
    akzentfreiem Französisch sagt: «Bonjour, je suis enfin
    liberé et ne dois plus écouter cette merde.» 1
    Da jetzt ohnehin schon alles egal ist, geht Jürgen in
    den Keller und holt einen chilenischen Rotwein herauf.
    Jetzt sind nur noch zehn Flaschen übrig. Während die
    Schwestern plappern und Ursula sich daran macht, das
    Abendessen vorzubereiten, nimmt Antonio mich bei-
    seite. Er ist von einer konzentrierten Ruhe, die ich bei
    ihm noch nie so erlebt habe. Hochgradig aufgeregt,
    aber gleichzeitig still, beinahe angespannt von seiner
    Umgebung. Wenn man bedenkt, wie er seine Mitmen-
    schen sonst auf Trab hält, ist das schon besorgniserre-
    gend.
    «Haste du alles dabei?»
    «Ja, klar», lüge ich.

    1 Hier muss ich mit der Übersetzung passen, ich spreche kein Französisch. Fragen Sie jemanden, der Französisch kann.
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    Morgen um neun Uhr müssen wir aus dem Haus.
    Das Flugzeug geht um 14 Uhr, wir werden vier Stunden
    zu früh da sein, aber ich sehe ihm an, dass er auf Dis-
    kussionen keine Lust hat. Wir können uns ja noch ir-
    gendwo hinsetzen und etwas trinken. Denke ich.
    Am nächsten Morgen beim Frühstück klingelt es an
    der Tür. Sara macht auf, und ich höre sie «Hallo Ben-
    no» sagen. Aha, Benno kommt zu Besuch. Kurz darauf
    steht er im Wohnzimmer. Er trägt eine kieselfarbene
    Windjacke, genau wie die silberzwiebelhaarigen Frau-
    en, die manchmal den Reisebussen in München ent-
    steigen, um sich das Glockenspiel auf dem Marienplatz
    anzuhören – ein überschätztes Erlebnis übrigens. Ben-
    no hat außerdem einen braunen Koffer dabei, der mit
    Frischhaltefolie umwickelt wurde, wie der Käse in der

Kühltheke. Er hebt die Hand und sagt: «Morgen. Jibbet
    Kaffee?» Warum hat der einen Koffer dabei?
    «Willst du verreisen?», fragt Sara, die hinter ihm ins
    Wohnzimmer kommt.
    «Ja sischer dat», antwortet er und stellt den Koffer
    auf das Stäbchenparkett von Familie Marcipanes
    Wohnzimmer. Ich merke, wie Panik in mir aufsteigt,
    meine Handflächen werden feucht.
    «Antonio, sag mal, der kommt doch wohl nicht mit,
    oder?», frage ich.
    «Naturlick kommt mit, iste mein Ubersetzer fur eng-
    lische Sprache.»
    «Ich kann auch Englisch», sage ich trotzig. Aber ich
    will Benno nicht brüskieren. Vielleicht ist es sogar gut,
    wenn noch einer dabei ist, der mir hilft, falls Antonio
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    verloren geht. Mein Schwiegervater kann schließlich
    selber entscheiden, wen er auf seine Reise

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