Antonio im Wunderland
Schulter und frage: «Und? Gefällt dir New York?»
«Iste eigentlick ein italienische Stadt. »
«Aha. Und wo sind sie, deine Italiener?»
«In Little Italy, da müssen wir gehen, um Mauro zu
finden.»
«Okay, wir gehen dahin. Kein Problem.»
Aber erst muss ich etwas essen. Beim Frühstück habe
ich mich zurückgehalten, ich war zu sehr mit Antonio
beschäftigt. Ich sehe in meinem Reiseführer nach, was
es hier in der Nähe gibt. Das Buch gibt erschöpfend
darüber Auskunft, wo man eventuell Brad Pitt oder
Madonna oder Liz Taylor bei der Nahrungsaufnahme
begegnen kann. Alles Lokale, in die ich auf keinen Fall
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gehen würde. Ich finde ein Restaurant, wo am Neben-
tisch George Clooney sitzt, eine fürchterliche Vorstel-
lung. Und zwar nicht, weil man mich für einen indis-
kreten Gaffer halten könnte, wenn ich hinüberspähe,
um zu sehen, ob George Clooney zuerst die Spargel-
spitzen oder zuerst die Spargelenden isst, sondern weil
George Clooney mich dazu zwingt, ihm beim Spargel-
essen zuzusehen. Das ist Nötigung.
Was wohl erst los wäre, wenn Kylie Minogue, Gwen
Stefani und Halle Berry genau neben Benno, Antonio
und mir Spargel essen würden? Da könnte ich nicht mit
umgehen. Ich lotse die Jungs also zum Bryant Park Grill , dort geht angeblich Woody Allen hin. Da dieser aber
garantiert nicht irgendwo auftaucht, wo deutsche Tou-
risten ihn fotografieren könnten, fühle ich mich bei der
Entscheidung einigermaßen wohl.
Wir erhalten einen Tisch zwischen Jerry Seinfeld und
der Toilette, was Benno spontan zu einer Lobeshymne
auf den Kellner veranlasst («Dä Jung kennt die Bedürf-
nisse seiner Gäste.»), und als dieser die Speisekarte
bringt, stellt Antonio seine obligatorische Frage nach
der womöglich italienischen Herkunft des Kellners. Er
kommt aber aus Kanada. Die alten Männer schauen in
die Karte und werden nicht schlau aus ihr.
«Der soll ein italienisch Karte bringene.»
«Die gibt’s hier bestimmt nicht. Warum auch? Das
ist ein amerikanisches Restaurant in Amerika. Die le-
sen gern alles auf Englisch», zische ich ihm zu. Ich ha-
be keine Lust auf einen weiteren Antonio-Auftritt und
bestelle drei Club Sandwiches und für Antonio außer-
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dem Nudeln. Er kann keinen Tag seines Lebens ohne
Nudeln auskommen.
Benno macht ein paar Fotos mit seiner Pocket-
Kamera, dann fragt er mich: «Und wo gibtet jetz’ die
Rauchverzehrer?»
Ich habe keine Ahnung, was er meint.
«Was für Dinger?»
Das Essen kommt. Riesige Portionen. Benno vergisst
darüber, mir zu antworten, und reißt das Sandwich.
Aber dann kommt er doch wieder aufs Thema zurück.
Zehn Minuten sind vergangen, aber er antwortet mir,
als hätte ich ihn gerade erst gefragt.
«Rauchverzehrer. Ich sammel die.»
«Aha, und was sind Rauchverzehrer?»
Diesmal ignoriert er meine Frage und antwortet auf
eine andere, die niemand gestellt hat.
«Dä Toni hätt jesaaht, hier gibbet Rauchverzehrer.
Sonst wär isch doch jar nit mitjekommen.»
Klingt interessant. Benno hat Antonio erzählt, er sei
ein astreiner Übersetzer, und Antonio hat ihm gesagt,
in New York gäbe es massenhaft Rauchverzehrer. Ich
finde, die beiden verdienen einander.
«Und jetzt willst du also einen Rauchverzehrer?»,
frage ich sanft. Wir müssen uns behutsam an dieses
Thema herantasten.
«Besser zwei. Oder drei.»
«Antonio, was meinst du dazu? Vielleicht weiß ja Mau-
ro, wo wir hier einen Rauchverzehrer bekommen, hä?»
«Vielleichte weiß er, du biste kluuug, du biste ein
gute Charakter mit viel Intelligenz.»
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Ich stochere in einem großen Haufen Pommes frites
herum und fühle mich wie der Landvermesser bei Kaf-
ka. Ich komme keinen Schritt weiter, im Gegenteil,
alles wird immer komplizierter. Und meine beiden
Rentner hier tun so unbeschwert, als stünden sie an
einem Kiosk am Niederrhein und tränken Feigen-
schnaps. Eigentlich bin ich neidisch auf sie.
«Benno, wenn du mir sagst, was ein Rauchverzehrer
ist, dann suchen wir auch danach, einverstanden?»
Das gefällt Benno, er setzt sich aufrecht hin und legt
den Kopf schief, um dann tief Luft zu holen. Nach ei-
nem Monolog, der wie eine presbyterianische Predigt
klingt und gut ein Viertelstündchen dauert, bin ich über
die Geschichte und die Funktion unterschiedlicher
Rauchverzehrtechniken und Rauchverzehrermodelle
besser informiert 1 als die meisten anderen Menschen auf der Welt. Auch haben wir das Sammelgebiet eingeschränkt. Da Benno und
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