Antonio im Wunderland
seine Mutter (sie ist maßgeb-
lich an der Tiggelkamp’schen Rauchverzehrersamm-
lung beteiligt) bereits eine unübersehbare Anzahl von
Buddhas und Pagoden aus Porzellan ihr Eigen nennen,
hat er sich bereits seit einigen Jahren auf Hunde kapri-
1 Kurz gefasst und somit ohne jede Rücksichtnahme auf die Seelen leidenschaftlicher Rauchverzehrerkenner lässt sich ein Rauchverzehrer als ein Gerät definieren, welches Tabakrauch aufsaugt und die Zimmerluft erfrischt. Früher standen diese Dinger aus Porzellan in Herrenzimmern, wo Herren Zigarren rauchten und sich über den Versailler Vertrag beschwerten, später auf dem Fernseher. Manche haben leuchtende Augen. Mehr muss man darüber
nicht wissen, zumal der Rauchverzehrer inneneinrichtungstech-nisch so was von aus der Mode ist.
201
ziert und sucht nach Terriern und Möpsen. Sie müssen
noch funktionstüchtig sein, und am besten elektrisch.
Donnerwetter, denke ich. Nie hätte ich mir träumen
lassen, dass ich in New York einen verschollenen Ar-
chitekten und einen Rauchverzehrermops suchen wer-
de. Das ist schon eine ganz tolle Karriere für einen ein-
fachen Schwiegersohn. Ich zahle und gebe dem kana-
dischen Kellner ein gutes Trinkgeld. Ich könnte jetzt
im Hotel ein wenig schlafen, aber Antonio will auf je-
den Fall heute noch «nach der zwei Turmeda».
Also auf zu Ground Zero. Inzwischen schmerzen
meine Füße. Auch wenn ich es nicht zugeben will. Wir
sind schon weit gelaufen, viel weiter, als ich selber freiwillig laufen würde. Aber New York ist so.
Ich entscheide, dass wir uns ein Taxi gönnen, und so
fahren wir mit Oscar Pedalvio aus Puerto Rico (kein Ita-
liener, hat noch nie Mauro Conti befördert, soweit er
das beurteilen kann) zum ehemaligen Welthandels-
zentrum. Dort, wo es einmal stand, steht jetzt ein Loch,
ein riesiges Loch. Es ist, als habe Gott der Stadt zwei
kariöse Zähne gezogen (wie Benno dem Stegosaurus).
Aber es war nicht Gott, nicht einmal Allah, sondern nur
eine Hand voll wahnsinniger krimineller Fremder, die
zerstört haben, was sie für den Mittelpunkt einer ande-
ren Kultur hielten. Zur Strafe kamen ebenso fremde
Kriminelle anschließend zu ihnen und bombten sie in
die Steinzeit zurück.
In dem Loch, vor dem Touristen stehen und versu-
chen, Fotos vom Nichts zu machen, wird an der Wie-
derauferstehung des Ortes gearbeitet. Benno und An-
202
tonio sehen dem schweigend zu, ringsum gibt es noch
rußgeschwärzte Häuser, die wie Filmkulissen aus ei-
nem Jerry-Bruckheimer 1 -Film wirken. Es wird schon dunkel, als wir in eine Sports Bar gehen, wo kein italienischer Fußball läuft und es zwar viele Sorten Bier, aber
kein deutsches gibt. Wir sehen eine Weile Baseball an,
ohne so richtig zu verstehen, was die Menschen in dem
Stadion daran derart in Raserei versetzt. Auf der Fahrt
ins Hotel schläft Benno ein. Ich bringe die Jungs noch
auf ihr Zimmer und gehe heimlich an die Rezeption.
Für fünf Dollar pro Minute lässt mich der Kerl hinter
der Theke an seinen Rechner. Ich rufe eine Suchma-
schine im Internet auf und gebe «Mauro Conti, Architect» ein. Ich finde Tanzschulen, Kneipiers, einen
Gärtner, sogar einen Zweitligafußballer dieses Na-
mens. Nach zwanzig Dollar bin ich sicher: Es gibt gar
keinen Architekten namens Mauro Conti.
1 Dem Filmproduzenten Jerry Bruckheimer verdankt die Menschheit Werke wie «Bad Company – Die Welt ist in guten Händen»,
«Black Hawk down», «Pearl Harbour» und «Armageddon». Privat soll er aber nett sein.
203
ELEVEN
«Darf ich dich etwas fragen, Antonio?», beginne ich am
nächsten Morgen beim Frühstück die Konversation.
Ich habe mir das gut überlegt.
«Schieß ab», ruft Antonio und beißt in einen Pan-
cake, den er zuvor in Ahornsirup gebadet hat. Das ist
ein amerikanisches Nationalgericht, und wenn man
begriffen hat, dass man wirklich viel Ahornsirup neh-
men muss, schmeckt es auch vorzüglich. Die Amerika-
ner verstehen was vom Frühstücken.
«Woher weißt du eigentlich, dass Mauro Conti Ar-
chitekt ist? Ich meine, du hast ihn doch ein halbes Jahr-
hundert nicht mehr gesprochen.» Nach meiner gestri-
gen Kurzrecherche scheint mir diese Frage angebracht.
«Kennte jeder der Geschicht von Mauro. Der Mann
ist eine mito .»
«Ein Mythos, verstehe. Gibt es denn noch irgendei-
nen, der in Campobasso mit ihm Kontakt hat?» Ich will
ihm eine Brücke bauen, denn ich kann ihn nicht mit der
Wahrheit konfrontieren. Das wäre ein
Weitere Kostenlose Bücher