Antonio im Wunderland
Nummer auf dem
Zettel in meiner Hosentasche und wollte ausprobieren,
wie man in Amerika telefoniert. Es gibt keinen großen
Unterschied zu unserer Methode. Pino fragte nach Ben-
no und Antonio, ob alles okay sei, und als ich bejahte
und ein bisschen erzählt hatte, lud er uns ein. Zum Bar-
becue bei sich zu Hause. Er bot sogar an, dass sein
Sohn uns abholen könnte, aber ich finde, wir müssen
selber hinfahren, mit dem öffentlichen Personennah-
verkehr. Das ist doch eine schöne Aufgabe, und man
kann hinterher stolz darauf sein. Antonio ist von dieser
Idee begeistert, Benno nicht so.
«Und wat is’ mit dem Rauchverzehrer?»
«Wir haben doch noch vier Tage Zeit dafür», wiegele
ich ab. Ich möchte gerne zu Pino, weil ich mich nach
Gesellschaft von ganz normalen Menschen sehne. Au-
ßerdem bin ich neugierig darauf.
«Wenn isch ohne Rauchverzehrer na Hus komm,
steh’ isch wirklisch nackich inne Erbsen.» 1
Offenbar hat Benno seiner Mutter ein Mitbringsel
versprochen, damit sie freiwillig ins Heim geht. Die Sa-
che ist also wirklich wichtig. Wir werden uns darum
kümmern. Ich verspreche es ihm, und damit ist er fürs
Erste zufrieden. Tatsächlich habe ich keine Ahnung,
wo wir hier so ein Ding herbekommen sollen, ge-
schweige denn, was «Rauchverzehrer» auf Englisch
heißt, vielleicht «steam consumer» oder «smokesucker».
1 «Nackig in den Erbsen stehen» ist eine schöne rheinische Wendung für «aufgeschmissen sein».
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Was für eine Freude wird es sein, diese Worte hilflos
stammelnd in einem Antiquitätenladen zum Besten zu
geben, umringt von Einheimischen, die hinterher wo-
chenlang erzählen werden, dass ein perverser Kraut da
war, der eine Hummelfigur suchte, die auch saugen
kann. Ich habe die schwach flackernde Hoffnung, dass
Benno die Sache vergisst.
Nach dem Frühstück kaufe ich eine detaillierte New-
York-Karte und entdecke die Straße, in der die Carbo-
nes in Queens leben. Es ist irgendwo beim Queens
Boulevard, in einer der tausend Querstraßen. Aller-
dings habe ich keine Vorstellung davon, wie lange man
dorthin braucht, wenn man die U-Bahn nimmt und
dann noch zu Fuß geht. Ich möchte nicht zu spät
kommen, daher schlage ich vor, sofort loszufahren.
Das erweist sich als klug, denn Benno und Antonio
stellen heute einen neuen Rekord im Superlangsamge-
hen auf. Warum sollten sie sich auch beeilen, sie sind
schließlich Rentner und keine Sportstudenten. Außer-
dem quält Antonio eine Blase, die er sich gestern erlau-
fen hat.
Am Times Square gehen wir in die Subway-Station,
ich kaufe am Automaten eine Metrokarte. Die zieht
man durch einen Schlitz, worauf sich die Sperre des
Drehkreuzes löst und man hindurchspazieren kann. An
großen Stationen gibt es viele dieser Drehkreuze. Ein
ebenso simples wie gutes System: Solange man eine
Station nicht verlässt, kann man so weit fahren, wie
man möchte. Es gibt keine Tarifgrenzen und Entfer-
nungswaben, keine feindselig gestalteten Schema-
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zeichnungen an Ticketautomaten, bloß diese Drehgit-
ter, durch welche der geübte New Yorker in Millise-
kunden wischt wie ein Luftzug mit Aktentasche. Es
entsteht überhaupt kein Stau, außer an unserem Dreh-
kreuz natürlich.
Mir gelingt das Durchziehen und Durchmarschieren
recht flüssig, ich bin allerdings auch beseelt von dem
Wunsch, hier nicht ständig als Anfänger aufzufallen.
Nachdem ich die Schranke überwunden habe, reiche
ich Antonio die Karte. Er zieht sie falschrum durch den
Schlitz, ist ja nicht schlimm, ich helfe ihm. Die Einge-
borenen zischen an uns vorbei wie Lachse in einer
Stromschnelle, und nach dem sechsten Versuch gibt
die Schranke seinem Bauch nach. Antonio geht mit er-
hobenen Armen hindurch und begrüßt mich auf der
anderen Seite euphorisch. Wieder ein kleiner Sieg bei
der Eroberung Manhattans. Benno hingegen verzwei-
felt an dem Kartenschlitz. Er kennt das auch von zu
Hause nicht, denn er besitzt keine Karten mit Magnet-
streifen. Das ist ihm unheimlich. Schließlich erbarmt
sich eine junge Frau und schiebt für ihn die Karte
durch. Ich will mich noch bei ihr bedanken, aber da ist
sie schon weg – mit der Karte. Es waren noch siebzehn
Fahrten drauf.
«Wat will’se machen?», tröstet mich Benno. «Kann’se
nix machen.» Wahrscheinlich hat er da Recht.
Wir laufen durch die gekachelten schmutzigen Gän-
ge zur Linie E, die uns nach Queens bringen wird. Hier
unten ist es feucht, Tausende von Menschen
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