Antonio im Wunderland
aucke di annegerufe, aber warste du
nida.»
«Ich habe geschlafen.»
«Soso. Sinde wir spaziere gewesen und hatte ein klei-
ne Streit.»
Ich stelle mich doof. «Miteinander?»
«Nein, nickte, iste unmoglicke mite Benno. Mit eine
Erpresse in ein Suppemarkt.»
Bei dem Wort Supermarkt schwant mir, was Antonio
angestellt hat. Er liebt es einfach, Preisschilder umzu-
kleben.
«War wohl zu teuer», sekundiere ich.
«Viel zu teuer und vor allen: Alle Preis’ waren falsch
auf der Ware.»
«Und wie ist die Sache ausgegangen?»
«Wir habe nickts gekaufte in der blöde Ladeda. Habi
nickte nötig, die könne der Zeug behalten.»
246
Ohne dabei gewesen zu sein, weiß ich, wie die Sache
lief. Antonio hat aus dem einen oder anderen Artikel
ein Sonderangebot gemacht und ist zur Kasse mar-
schiert. Der Bursche hinterm Tresen hat sofort ge-
merkt, dass die Preise nicht stimmten und hat höflich,
wie diese vor Selbstbewusstsein platzenden Amerika-
ner halt sind, darauf hingewiesen, dass die Rechnung
höher ausfällt, als Antonio denkt. Antonio hat dann auf
Italienisch rumkrakeelt, dass er Gast in diesem Lande
sei und nicht wisse, was der Mann von ihm wolle, und
dass er den Patron zu sprechen wünsche. Und dann ist
er mitsamt Benno höflich gebeten worden, das Ge-
schäft zu verlassen. Er hat mit dem Fuß aufgestampft
und gerufen, dass so etwas in einer zivilisierten Gesell-
schaft wie der deutschen nicht üblich sei. Da ist er mit-
samt Benno rausgeflogen. Kurz und schmerzlos. Und
ich musste nicht dabei sein. Was mich nachhaltig freut.
Die Geschichte nagt nicht an Antonio, vielmehr sei
der Kerl selber schuld, dass er mit Antonio nicht ins Ge-
schäft gekommen ist. Er platzt sogar vor hervorragen-
der Laune und macht einen sehr tatendurstigen Ein-
druck. Er würde gerne mal zum Großmarkt gehen, aber
dafür ist es heute schon zu spät, da ist jetzt nichts mehr los. Wir heben uns das für einen anderen Tag auf. Dann
macht Antonio einen Vorschlag, auf den ich niemals
gehofft hatte. «Wie wär’s, heute geht jeder per conto suo .
Wir gehen, wo wir gehen, unde du gehste woanders,
und wir treffen uns bei der Abendbrot in ein Lokal.»
Ich bin begeistert, überglücklich. Natürlich werde
ich mir Sorgen machen, den ganzen Tag nur an die
247
beiden denken, aber andererseits habe ich mir nicht
mehr gewünscht als diesen einen Tag Ruhe vor der
Jagd nach Toiletten, Architekten und Rauchverzehrern.
Gemeinsam suchen wir ein gutes Restaurant in SoHo
heraus. Ich schreibe Antonio die Adresse auf und lasse
dort von der Rezeption einen Tisch reservieren. Dann
bin ich frei. Benno ist bisher nicht aufgetaucht. Ko-
misch, wo er doch morgens so einen majestätischen
Hunger hat.
«Wo steckt denn Benno?», frage ich.
«Dä is’ schon in der große Park und futterte der
Eickörnchen.»
«Was macht der? Der futtert Eichhörnchen?»
«Nee, dumme Salat! Nickte futtert er selber die
Eichörrnche, sondern gibt ihne der Futter.»
Antonio schmeißt die Sirene an und beömmelt sich
königlich.
Ich begleite Antonio noch zum südlichen Eingang
des Central Park, wo er sich um elf Uhr mit Benno ver-
abredet hat. Wir sind zu früh. Ich möchte ihn nur un-
gern so alleine stehen lassen, aber er bittet mich da-
rum. Er wolle ungestört sein, sagt er. Ich drehe mich
noch ein paar Mal um, und jedes Mal winkt er mir fröh-
lich. Ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Was ist,
wenn Benno gar nicht kommt, weil er, von Eichhörn-
chen überfallen und seines Brustbeutels beraubt, von
der joggenden Yoko Ono aufgelesen und in John Len-
nons Lieblingssofa verfrachtet wurde, wo sie ihn nun
mit Donuts und Softeis wieder aufpäppelt? Oder wenn
etwas noch Schlimmeres passiert ist? Es fällt mir
248
schwer, dies vor mir selber zu formulieren, aber ich
muss die beiden loslassen. Wenn etwas nicht klappen
sollte, dann ist das nicht mein Problem.
Ich grüble noch einen Block weiter, dann drehe ich
mich um und renne zurück. Ich hätte die beiden nicht
alleine lassen dürfen. Es war ein Fehler, Fehler, Fehler!
Als ich dort ankomme, wo ich Antonio zuletzt gesehen
habe, ist er verschwunden. Ich laufe in den Park, wieder
zurück, sehe mich um. Kein Zweifel: Antonio und Ben-
no sind von der Stadt verschluckt worden.
249
THIRTEEN
Ich kann mich nicht richtig an meine plötzliche Freiheit
gewöhnen. Unruhig laufe ich Richtung Osten, also zur
Fifth Avenue, die mir auf Anhieb gefällt, weil New York
hier so
Weitere Kostenlose Bücher