Antonio im Wunderland
be-
grüßt sie überschwenglich, gerade so, als sei er ein alter Stammgast. Er füllt das Formblatt mit seiner Adresse
aus, und dann sagt er tatsächlich: «Ich muss jetzt in
meine Suite, bin ein wenig müde.» Zum Glück versteht
die Managerin (ihre Familie kam dereinst aus Spanien,
aber sie spricht kein Spanisch) ihn nicht. Sie geleitet uns persönlich nach oben. Im Aufzug drückt sie auf einen
Knopf, an den sie kaum heranreicht. Es gibt übrigens
keinen 13. Stock hier in Amerika. Ist mir schon öfter
aufgefallen. Erst nahm ich noch an, das sei eine bauliche
Schlamperei, aber nun denke ich doch, man ist hier
abergläubisch. Und das, wo man doch gerade hier das
Schicksal zwingt, wo es nur geht. Komisch.
Miss Hernandez öffnet die Tür unserer Suite, wo un-
sere Koffer bereits angekommen sind, und macht mit
uns einen kleinen Rundgang. Suite ist das falsche Wort
für diesen Palast. Er hat drei Schlafzimmer und drei
Bäder, einen riesigen Wohnraum, eine eigene Küche
mit einem Esszimmer und große Panoramafenster, von
denen aus man einen phantastischen Blick auf die Fifth
Avenue hat. Als reiche das nicht, steht auch noch ein
Fernrohr vor dem Fenster, damit man sich das Ge-
wimmel aus gelben Taxis, Bussen und Limousinen bes-
ser ansehen kann. Es ist vollkommen still hier oben.
Die Suite hat zwölf Telefone und sechs Fernseher. Drei
davon sind in den Wänden über den Jakuzzis eingelas-
sen. Im Wohnzimmer steht ein Flügel. Wahrscheinlich
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kann man auf ihm nur Stücke von Cole Porter und
George Gershwin spielen.
«Mister De Niro hat hier bis heute Morgen ge-
wohnt», sagt die Managerin. «Er hat Ihnen einen Brief
dagelassen.»
«Wo ist er denn hingegangen?», frage ich.
«Er musste abreisen.»
«Ach so?»
«Ja, er bedauert sehr, dass er nicht mehr Zeit mit Ih-
nen verbringen konnte.»
Der Brief liegt auf dem Esstisch, gleich neben einem
Früchtekorb und einer Flasche Champagner, die in fri-
schem Eis darauf wartet, von Benno hinuntergestürzt
zu werden. Miss Hernandez verlässt uns. Bevor sie die
Tür hinter sich schließt, sagt sie: «Er hat die Suite bis
morgen gebucht und wollte sie nicht leer stehen lassen,
denke ich. Bitte benutzen Sie sie, als gehörte sie Ihnen.
Nehmen Sie den Zimmerservice in Anspruch. Es wird
uns ein Vergnügen sein, Ihnen dienen zu dürfen.»
Dann schließt sich die Tür. Geräuschlos.
Ich gehe ins Wohnzimmer, wo meine Partner sich
schüchtern auf den Rand einer fluffigen Couch nieder-
gelassen haben. Benno hat immer noch seine Schätze
im Arm. Ich klatsche in die Hände, aber der dicke Tep-
pich schluckt jeden Schall. Die Suite zu erobern wird
einige Stunden in Anspruch nehmen.
Die Küche ist weitgehend leer, sie wird offenbar nur
vom Hotelpersonal benutzt, wenn ein Superstar mit
Kindern anreist und Fläschchen benötigt werden. Die
Bude ist voll gestopft mit Antiquitäten, jedenfalls sehen
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die Möbel danach aus. In Amerika kann man aber nie
ganz sicher sein. Mit einer Fernbedienung lassen sich
unterschiedliche Lichtszenarien einstellen, für Cock-
tailpartys zum Beispiel, oder für ein Candlelight-
Dinner oder für eine geschäftliche Besprechung. In der
Gebrauchsanweisung für diese Räume steht, dass man
die Möbel und alle weiteren Gegenstände dieser Suite
auch kaufen kann. Leute, die hier absteigen, fragen nie-
mals nach dem Preis für irgendwelche Dinge. Sie zei-
gen einfach auf die Klimaanlage, die Küche oder den
Flügel und sagen: «Einpacken, bitte. Danke.» Ich be-
schließe, erst den Champagner zu öffnen und dann
den Brief. Als ich mit der Flasche, drei Gläsern und
dem Umschlag wieder ins Wohnzimmer komme, sit-
zen Antonio und Benno immer noch da wie zwei
Denkmäler des unbekannten Touristen.
«Jungs, kommt, wir feiern!», rufe ich und lasse den
Korken an die Decke springen. Benno wird von dem
Knall munter und stellt seine Devotionalien auf den
Couchtisch. Antonio verharrt in seiner Starre, bis ich
ihm ein volles Glas unter die Nase halte. Er nimmt es
und trinkt es in einem Zug. Dann macht er «Ahhh» und
zieht seine Schuhe aus, Zeichen seines Gefühls, ange-
kommen zu sein. Macht er zu Hause auch immer.
Ich öffne den Brief und übersetze ihn laut: «Liebe
Freunde, leider kann ich nicht bleiben. Es war mir eine
Ehre, euch kennen zu lernen. Franklin fährt euch über-
allhin, wo ihr wollt. Verständigt ihn auf jeden Fall von
eurer Abreise, er wird euch zum Flughafen bringen. Ich
hoffe,
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