Anubis 02 - Horus
unendlich müde wirkenden Bewegung herum. Er sah erschöpft aus, unendlich müde und am Ende seiner Kräfte, nicht nur in körperlicher Hinsicht. Unter seinen Augen lagen schwere, fast schwarze Ringe, und sein Haar war stumpf geworden und hing ihm in Strähnen in die Stirn.
»Miss Bast«, sagte er müde.
»Bast reicht«, antwortete Bast. »Das Miss klingt so offiziell.«
»Bast, gut«, sagte Abberline müde. »Ich fürchte jedoch, dass wir uns leider auch ganz offiziell hier sehen. Ich dachte, Jacob wollte Sie zurück in die Pension begleiten?«
»Das hatte er auch vor«, antwortete Bast. »Aber ich wurde … aufgehalten.«
»So lange?«
Bast hob zur Antwort nur die Schultern, und zu ihrer Überraschung gab sich Abberline mit dieser Antwort sogar zufrieden; wenigstens für den Moment. Zwei oder drei Atemzüge lang starrte er sie nur an, genauer gesagt einen Punkt ungefähr zwei Handbreit unterhalb ihres Gesichts, und einen Moment lang fragte sie sich ganz ernsthaft – auch wenn das eigentlich nicht zu ihm passte –, ob er ihre Brüste anstarrte.
Dann wurde ihr klar, was es wirklich war.
»Sie sehen recht, Inspektor«, sagte sie kühl. »Das ist Blut. Aber nicht meines.«
»Es stammt von Ben, ich weiß«, unterbrach sie Abberline. Er klang beinahe noch müder. »Maudes Rausschmeißer.«
»Sie sind gut informiert«, sagte Bast anerkennend.
»Das ist mein Beruf«, antwortete Abberline. »Hier im East End geschieht nicht viel, von dem ich nicht weiß. Außerdem kommt es nicht jeden Tag vor, dass jemand dem stärksten Burschen des ganzen Viertels eine blutige Nase verpasst – und das noch dazu mit bloßen Händen. So etwas spricht sich schnell herum.« Er seufzte noch einmal, und noch tiefer, und etwas in seinem Blick … änderte sich. Bast konnte nicht sagen, was, aber es gefiel ihr nicht.
»Wie gesagt: Sie sind gut informiert«, wiederholte sie.
»Leider nicht gut genug«, erwiderte Abberline. »Sie wissen, was hier passiert ist?«
Bast antwortete mit einer Mischung aus einem Nicken und einem Kopfschütteln – was der Wahrheit auch ziemlich nahekam. Abgesehen von den hässlichen braunroten Flecken auf dem Tuch, unter dem sich deutlich die Umrisse eines menschlichen Körpers abzeichneten, stieg ihr mittlerweile ein deutlicher Blutgeruch in die Nase, und auf einer tieferen Ebene das nur langsam verblassende Echo brutal explodierender Gewalt und sehr großer Angst. Im Stillen bedankte sie sich noch einmal bei Roy. Ohne das, was er ihr gegeben hatte, wäre es vielleicht mehr gewesen, als sie ertragen konnte, und möglicherweise – wahrscheinlich – hätte sie etwas getan, das … nicht gut war.
Abberline wartete einen Moment lang vergebens auf eine andere Antwort, dann ließ er sich erneut in die Hocke sinken und schlug das Tuch gerade weit genug zur Seite, dass sie das Gesicht darunter erkennen konnte.
»Kate«, murmelte sie. Seltsam – sie war nicht einmal überrascht. Nicht wirklich.
»Sie kennen diese Frau«, stellte Abberline fest. Er klang noch weniger überrascht.
»Das ist Kate, ja«, antwortete Bast. Sie war nicht überrascht, aber sie fühlte sich, als hätte ihr jemand ins Gesicht geschlagen. Und sie glaubte Horus’ Blick geradezu zwischen den Schulterblättern zu spüren. Den Spott in seinen Augen.
»Catherine Eddowes, um genau zu sein, ja«, sagte Abberline. »Jeder hier in Whitechapel kennt Kate, genau wie ihre Freundinnen. Polly, Dark Anny, Liz, Marie-Jeanette und Faye. Wie es aussieht, sind nicht mehr viele von ihnen übrig. Wissen Sie, was ich mich frage, Bast? Woher kennen Sie diese Frauen? Soweit ich weiß, sind Sie erst seit zwei oder drei Tagen in diesem Land.«
»Ich kenne sie nicht wirklich«, antwortete Bast. »Eigentlich so gut wie gar nicht. Ich bin gestern kurz mit ihr und den anderen ins Gespräch gekommen, das ist alles.«
»Während Sie auf der Suche nach Ihrer Freundin waren«, nickte Abberline.
»Ja.«
»Waren Sie erfolgreich?«
»Ja und nein«, antwortete Bast ausweichend. »Ich habe sie gefunden, aber unser Gespräch ist leider nicht ganz so verlaufen, wie ich gehofft habe.« Sie runzelte die Stirn. »Was genau wird das, Inspektor? Ein Verhör?«
»Gäbe es denn einen Grund, Sie zu verhören?«, fragte Abberline.
»Sie glauben nicht ernsthaft, dass ich etwas mit diesen Morden zu tun habe, oder?«, fragte sie.
Abberline dachte eindeutig länger über diese Frage nach, als ihr lieb war, aber dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Es sei denn,
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