Anubis 02 - Horus
wiederum eine Menge darüber sagte, wie sich Abberline wirklich fühlte. Sie wusste nicht viel über diesen Mann, aber er machte einen ehrlichen Eindruck, und sie vermutete, dass er unter alledem hier weit mehr litt, als er nach außen hin eingestand.
Immerhin konnte sie ihm den Gefallen tun, sich die kryptische Inschrift noch einmal anzusehen und nach irgendeinem verborgenen Sinn darin zu suchen. Aber sie fand ihn nicht.
»Es tut mir leid«, sagte sie ehrlich. »Aber für mich ergibt das keinen Sinn. Ich weiß nicht einmal, was das Wort Juwes bedeutet … allerdings bin ich des Englischen auch nicht so mächtig, wie ich es gerne wäre.«
»Sie sprechen besser Englisch als die meisten Briten, die ich kenne«, versicherte Abberline lächelnd, wurde aber auch sofort wieder ernst und schüttelte den Kopf. »Außerdem kenne ich dieses Wort auch nicht.«
»Es könnte Jews heißen, Sir«, mischte sich Stowe ein. »Juden.«
Abberline sah nicht so aus, als wäre er erbaut über diese ungefragte Hilfe, aber er dachte trotzdem einen Moment angestrengt über diese Möglichkeit nach. Anschließend sah er noch weniger begeistert aus.
»Dann ergäbe es wenigstens so etwas wie einen Sinn«, sagte er düster. »Aber dann hätten wir ein noch größeres Problem, fürchte ich.«
»Wieso?«
Statt zu antworten, dachte Abberline einen weiteren Augenblick lang angestrengt nach, bevor er sich – plötzlich sehr entschlossen-direkt an Stowe wandte. »Holen Sie einen Lappen und entfernen Sie diese Schmiererei, Konstabler«, sagte er.
Stowe riss ungläubig die Augen auf. »Aber Sir! Das ist …«
»Habe ich mich irgendwie unklar ausgedrückt, Konstabler?«, fiel ihm Abberline ins Wort. Plötzlich klang seine Stimme schneidend.
»Nein, Sir«, antwortete Stowe. »Es ist nur, weil …«
»Dann tun Sie, was ich gesagt habe, und entfernen Sie das«, unterbrach ihn Abberline erneut. »Und danach nehmen Sie einen Wagen und bringen Sie diese Lady nach Hause. Miss Bast – ich bringe das hier zu Ende und komme dann zu Ihnen. Ich möchte Sie bitten, solange in der Pension auf mich zu warten.«
Insgeheim war sie doch froh gewesen, nicht allein und zu Fuß zur Pension zurückgehen zu müssen; nicht weil sie Angst davor gehabt hätte, allein durch die Straßen dieser verrufenen Gegend zu gehen, oder gar Angst vor der Dunkelheit oder etwas noch Alberneres, sondern weil sie sich schlichtweg selbst nicht traute. Dass die quälende Gier in ihrem Inneren nicht mehr zu spüren war, bedeutete ganz und gar nicht, dass das Ungeheuer auch tatsächlich schlief. Sie wagte nicht zu sagen, was passiert wäre, wäre sie im Morgengrauen einem einsamen Wanderer begegnet.
Was ihr weniger gefiel, war die Art, auf die Stowe sie zurück in Mrs Walshs Obhut brachte – zwar tatsächlich mit einem Wagen, wie Abberline es ihm aufgetragen hatte, aber nicht mit irgendeinem, von denen nun wahrlich genug zur Auswahl standen, sondern mit einem Gefängniswagen, einem der beiden klobigen schwarzen Monster mit den vergitterten Fenstern, die sie vorhin schon bewundert hatte. Zumindest hatte er darauf verzichtet, die Tür von außen zu verriegeln.
Damit hörte seine Rücksichtnahme dann aber auch schon auf.
Bast hatte ihn gebeten, eine Straße vorher anzuhalten, um ihr die Peinlichkeit zu ersparen, in Begleitung eines uniformierten Bobbys aus einem Gefangenentransporter zu steigen, aber er tat nichts dergleichen, sondern lenkte den Wagen ganz im Gegenteil bis unmittelbar vor den Eingang der Pension, und als wäre das allein noch nicht genug, begleitete er sie noch bis zur Tür.
»Das war sehr freundlich von Ihnen, Konstabler«, sagte sie. Sie rührte keinen Finger, um die Tür zu öffnen, obwohl sie wusste, dass sie unverschlossen war. »Aber von hier aus finde ich den Weg allein.«
»Daran zweifle ich nicht, Ma’am«, antwortete Stowe unbehaglich. Er wich ihrem direkten Blick aus. »Aber Inspektor Abberline hat mir ausdrücklich aufgetragen, Sie … ähm …«
»Zu bewachen«, half Bast aus, als er nicht weitersprach, sondern plötzlich etwas ungemein Interessantes auf seinen Schuhspitzen entdeckt zu haben schien. »Wozu genau? Um mich vor irgendetwas zu beschützen, vor dem ich nicht beschützt werden muss, oder um sicherzugehen, dass ich nicht verschwinde?«
»Das hat er nicht gesagt, Ma’am«, erwiderte Stowe kühl. »Mein Befehl lautet nur, hier bei Ihnen zu warten, bis der Inspektor nachkommt.«
Bast dachte einen ganz kurzen Moment lang daran, ihn trotzdem
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