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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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mit dem Mittagessen in Verzug war, was seinen Ärger nur noch weiter schürte.
    Angesichts der wirren Bilder aus der vergangenen Nacht, mit der ihn seine Erinnerung immer noch zu quälen versuchte, scheute er davor zurück, hinauszugehen und nach Tom zu suchen, sodass er nur einen Schluck Wasser trank und sich sodann wieder seinen Büchern zuwandte, um sich abzulenken.
    Es funktionierte nicht.
    Es waren nicht nur sein grummelnder Magen und die innere Unruhe, die ihm aus seinen Träumen hinüber in die Wirklichkeit gefolgt waren, die es Mogens fast unmöglichmachten, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Etwas hatte sich verändert. Die Bilder, Symbole und Zeichnungen, die ihm bisher so eingängig erschienen waren, waren ihm auf einmal so unverständlich wie Keilschrift-Texte. Noch am Tage zuvor hatte er die Bücher, die Graves aus der Bibliothek der Miskatonic-Universität herbeigeschafft hatte, mit einer geradezu erstaunlichen Mühelosigkeit entziffern können, nun aber weigerten sich die uralten Schriften plötzlich, irgendetwas von ihrem Geheimnis preiszugeben. Es war, als hätte das Wissen, das er sich in den letzten Tagen so mühelos angeeignet hatte, seinen Zweck erfüllt; nicht mehr als ein Werkzeug, das ihm für eine gewisse Weile zur Verfügung gestellt und nun wieder weggenommen worden war. Es war frustrierend, aber zugleich erschreckte es ihn auch auf eine Weise, die er sich kaum erklären konnte. War ihm auch seine Fähigkeit abhanden gekommen, die Schrift zu erfassen, so war doch etwas geblieben, das ihn schaudern ließ: das sichere Wissen, an etwas gerührt zu haben, an das nicht gerührt werden durfte.
    Er hatte gute zwei Stunden in den Büchern geblättert, bis er endlich zu einem Entschluss kam. Ganz egal, was geschah und was Graves ihm auch immer anbot oder womit er ihm drohte: Er würde nicht wieder dort hinuntergehen, sondern diesen verfluchten Ort ganz im Gegenteil verlassen, und das noch heute.
    Mogens klappte das Buch zu, in dem er zuletzt geblättert hatte, stellte es sorgsam an seinen Platz auf dem Bücherbord zurück und verließ das Haus, um zu Graves hinüberzugehen und ihn von seinem Entschluss in Kenntnis zu setzen.
    Er platzte mitten in einen fürchterlichen Streit hinein. Graves war nicht allein. Die Tür zu seiner Blockhütte stand – ungewöhnlich genug – weit offen, und Mogens hörte erregte Stimmen, schon bevor er sich dem Haus auch nur auf zehn Schritte genähert hatte.
    Er identifizierte Hyams’ Stimme – warum überraschte ihn das nicht? –, aber auch die von McClure. Mogens war für einen Moment im Zweifel, ob er weitergehen sollte. Dass das Verhältnis zwischen Graves und den anderen nicht das bestewar, hatte er schon in seiner allerersten Stunde hier herausgefunden, sich aber bisher mit einigem Erfolg bemüht, sich aus diesem Disput herauszuhalten. Aber auch dafür war es zu spät. Die Zeit, sich aus irgendetwas herauszuhalten , was mit dieser unheimlichen Fundstelle zusammenhing, war schon längst vorbei.
    Ohne anzuklopfen, trat Mogens ein und warf einen raschen Blick in die Runde, bevor er sich Graves und den anderen zuwandte. Er war noch nie hier drinnen gewesen, aber die kurze Beschreibung, die Tom ihm auf der Fahrt im Automobil hierher gegeben hatte, erwies sich als so treffend, dass er das Gefühl hatte, dieser Raum wäre ihm seit langem vertraut. Eine ganze Wand wurde von einem gewaltigen Regal voller Bücher und Pergamentrollen eingenommen, und auf dem großen Tisch, hinter dem Graves saß, erhob sich ein Durcheinander aus Glaskolben und -röhren, Bunsenbrennern, Tiegeln und Kolben, das Mogens mehr an das Labor eines mittelalterlichen Alchimisten erinnerte als an irgendetwas, das einem seriösen Wissenschaftler des gerade erwachten zwanzigsten Jahrhunderts anstand.
    Mogens schenkte alldem kaum mehr als einen flüchtigen Blick. Er war nicht nur mitten in einen Streit hineingeplatzt, er spürte auch überdeutlich, wie unwillkommen er in dieser Runde – und vor allem in diesem speziellen Moment  – war. McClure, der im Augenblick seines Eintretens mit erregter Stimme und noch viel erregterem Gestikulieren auf Graves eingeredet hatte, brach mitten im Wort ab und sah betroffen in seine Richtung, während Hyams ihn kampflustig anfunkelte. Mercer sah weg.
    »Komme ich ungelegen?«, fragte Mogens.
    »Keineswegs«, antwortete Graves. Mercer und McClure gaben sich alle Mühe, durch ihn hindurchzusehen, während allein Hyams’ Blicke ausreichten, seine Frage mit

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