Anubis - Roman
seinerseits auffordernd zu ihr hoch. Auf diese Weise vergingen geschlagene fünf Sekunden, bis Mogens sich endlich räusperte und eine Kopfbewegung zur Tür machte.
»Professor?«
»Ich würde mich gerne anziehen«, sagte Mogens sanft.
»Oh.« Miss Preussler fuhr erschrocken zusammen und sah mit einem Male noch verlegener aus. »Natürlich. Bitte verzeihen Sie, Professor. Ich bin aber auch manchmal …« Zu Mogens’ Erleichterung sprach sie den Satz nicht zu Ende, sondern drehte sich endlich um und ging. Ein Windstoß löschte die Flamme ihrer Kerze, als sie das Haus verließ, doch in dem winzigen Bruchteil einer Sekunde, der verging, bevor die Dunkelheit das Licht endgültig besiegte, schienen die Schatten eine andere Qualität anzunehmen, als hätten sie sich zu Dingen verdichtet, Dingen mit Reißzähnen und Klauen und peitschenden Tentakeln voller schrecklicher Saugmünder, die sich auf ihn zu stürzen versuchten. Diesmal war es die Dunkelheit, die sich als sein Verbündeter erwies, denn die grotesken Manifestationen hatten nur in dem zeitlosen Moment zwischen Dunkelheit und Licht Bestand, nicht in einem von beidem. Was zurückblieb, war ein tiefer, namenloser Schrecken, der Mogens auf eine Weise berührte, die er noch nie zuvor kennen gelernt hatte.
Er schüttelte den Gedanken ab, stand auf und tastete im Dunkeln nach seinen Kleidern. Nur noch ein letzter Rest des Albtraumes, aus dem er anscheinend immer noch nicht vollkommen erwacht war, tröstete er sich. Etwas anderes konnte es nicht gewesen sein. Die Bilder waren einfach zu absurd gewesen, so bizarr, dass sie in ihrer Grässlichkeit schon fast wieder lächerlich wirkten.
Warum aber verzichtete er dann darauf, Licht zu machen, sondern zog sich stattdessen in vollkommener Dunkelheit an und tastete sich auf die gleiche Weise auch zur Tür?
Mogens war überrascht, wie hell es war, als er aus dem Haus trat. Der Mond war noch schmaler geworden und stand als sichelförmige Linie am Himmel, die kaum mehr nennenswertes Licht spendete. Aber der abgezogene Sturm hatte auch die Wolken mitgenommen, und am Himmel funkelte eine erstaunliche Anzahl von Sternen, die ein bleiches, farbenverzehrendes Licht verbreiteten, und in dem morastigen Boden hatten sich zahllose Pfützen gebildet, die das Licht zusätzlich reflektierten. Noch etwas hatte sich verändert, aber es dauerte eine Weile, bis Mogens erkannte, was: Die Brücke aus Planken und gehobelten Bohlen, die Tom über den morastigen Platz gelegt hatte, war verschwunden. Tom hatte keine Zeit verloren. Und er schien – so ganz nebenbei – auch keinen Schlaf zu benötigen.
Mogens sah flüchtig zu Graves’ Hütte hin und stellte fest, dass hinter ihren schmalen Fenstern noch Licht brannte – was ihn nicht unbedingt überraschte. Graves würde keine besonders gute Nacht haben. Mogens’ Mitleid mit ihm hielt sich jedoch in Grenzen. Ihm war auch nicht nach einer Unterhaltung mit Graves, sodass er sich in die entgegengesetzte Richtung wandte, um zu Tom zu gehen. Er glaubte nicht, dass Cleopatra dort war – vermutlich trieb sie sich irgendwo im Wald herum oder streifte auf der Suche nach einer fetten Maus durch die Büsche, und Mogens war nicht annähernd so sicher, wie er Miss Preussler gegenüber getan hatte, dass Cleopatra tatsächlich nach ein paar Stunden freiwillig zurückkehren würde. Möglicherweise hatte Miss Preussler einen schweren Fehler gemacht, indem sie ihre Katze mit hierher brachte. Mogens verstand nicht allzu viel von Katzen, aber er wusste, dass selbst lang domestizierte Haustiere manchmalwieder verwilderten, wenn sie einmal die Freiheit geschmeckt hatten, vor allem in einer fremden Umgebung.
Wäre er eine Katze gewesen, hätte er zumindest die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, aus Thompson zu verschwinden. Mogens lächelte über seinen eigenen Gedanken, war aber auch zugleich ein wenig verwirrt, denn solcherlei Albernheiten passten im Grunde gar nicht zu ihm. Aber vielleicht sollte er heute nicht zu streng mit sich selbst sein. Er hatte eine Menge sonderbarer und erschreckender Dinge erlebt, und auch die Nachricht über das schreckliche Unglück, das Mercer und den beiden anderen zugestoßen war, war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Wie konnte er da erwarten, so distanziert und logisch zu reagieren wie sonst?
So schwer es ihm gefallen war, wach zu werden, so deutlich spürte er, dass er jetzt vermutlich keinen Schlaf mehr finden würde. Also konnte er ebenso gut auch nachsehen, ob
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