Anubis - Roman
Berglöwen, ein Geschöpf also, das selbst einem Menschen unter bestimmten Umständen gefährlich werden konnte. Mogens vertraute jedoch darauf, dass auch ein solches Geschöpf seinen normalen Instinkten folgen und beim Anblick eines Menschen die Flucht ergreifen würde. Das Fauchen und Kreischen steigertesich noch einmal, und dann hörte Mogens einen schrecklichen, reißenden Laut – und dann nichts mehr.
Er blieb stehen und sah sich mit hektischen, wilden Blicken um. Dunkelheit umgab ihn wie eine kompakte Mauer, die aus allen Richtungen zugleich auf ihn einstürmte und in deren Schutz noch etwas anderes herankroch, etwas Uraltes mit Krallen und schnappenden Mündern und schrecklichen, lichtlosen Augen. Sein Herz hämmerte so laut, dass es jedes andere Geräusch zu übertönen schien. Etwas kam . Etwas Riesiges, das ihn verderben würde und dem er nicht mehr entkommen konnte, ganz egal, wie schnell er lief. Der älteste und schlimmste Albtraum, in dem er rennen konnte, so schnell und so lange es nur ging, ohne seinem unsichtbaren Verfolger entkommen zu können, war Wirklichkeit geworden – einem Verfolger zudem, der ihn unweigerlich einholen musste, sobald er auch nur einen einzigen Blick in seine Richtung warf. Vielleicht hatte es einen Grund, dass so viele Menschen diesen ganz besonderen Nachtmahr kannten und fürchteten. Vielleicht war es gar kein Albtraum, sondern die vorweggenommene Erinnerung an etwas, das noch kam, die Begegnung mit den schrecklichen Wesenheiten, die auf der Schwelle zwischen Leben und Tod lauerten und jeden, der sie überschritt, in ihre Verderben bringende Umarmung schlossen.
Nur mit äußerster Willenskraft gelang es Mogens, diese bizarre Vorstellung abzuschütteln und sich wieder auf den Grund seines Hierseins zu besinnen. Die unheimliche Stille hielt noch immer an, und auch wenn Mogens den Gedanken mit aller Macht unterdrückte, so wusste er doch tief in seinem Herzen genau, dass dieses schreckliche Schweigen nur eines bedeuten konnte.
»Cleopatra?«
Selbst der Klang seiner eigenen Stimme kam ihm in diesem Moment bedrohlich vor, etwas, das in dieser Umgebung nicht sein durfte. Dennoch rief er noch zweimal den Namen der Katze, ohne dass indes auch nur die mindeste Reaktion erfolgte.
Immerhin hatten sich seine Augen weit genug an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt, um ihn erkennen zu lassen, dass die Dunkelheit nicht vollkommen war. Hier und da fand ein verirrter Lichtstrahl seinen Weg durch das Geäst und brach sich auf einem nassen Blatt oder dem feuchten Boden. Dürre Äste schlossen sich zu einem Käfig aus Schattenfingern rings um ihn, und durch das Geräusch des Windes im Blattwerk über seinem Kopf schimmerte noch etwas anderes wie ein rasselndes, schweres Atmen.
Mogens merkte, dass seine Gedanken schon wieder auf Pfade abzugleiten drohten, die nur in den Irrsinn führen konnten, und rief sich mit einer neuerlichen und noch größeren Willensanstrengung zur Ordnung. Er vollendete seine Drehung und strengte die Augen an, um die Dunkelheit irgendwie zu durchdringen, erweckte damit aber nur die Schatten und Umrisse zu neuem, unwillkommenem Leben. Er wollte noch einmal Cleopatras Namen rufen, aber eine innere Stimme hielt ihn zurück. Ganz gleich, wie nachhaltig ihm sein Verstand versicherte, dass es hier rein gar nichts gab, was er zu fürchten hatte – da war noch eine andere Stimme in ihm, und diese Stimme beharrte hartnäckig darauf, dass da vor ihm etwas war, etwas, das nicht hierher gehörte und das die Dunkelheit als Versteck nutzte. Eine von den Kreaturen, die in der Dämmerung lebten.
Mit einer fast schon trotzigen Bewegung ging er weiter. Dürre Äste streiften mit einem Gefühl wie Spinnenbeine über sein Gesicht, und das Wispern in den Baumwipfeln nahm zu. Mogens machte einen weiteren Schritt, den Blick aufmerksam zu Boden gerichtet, und nach einem weiteren Moment glaubte er tatsächlich etwas zu erkennen. Einer der Schatten am Boden vor ihm erschien ihm etwas massiger als die übrigen.
Trotz des Optimismus, den er sich selbst mit einigem Erfolg einredete, blieb Mogens in weitaus größerem Abstand stehen, als notwendig gewesen wäre, und ließ sich in die Hocke sinken, bevor er den Arm ausstreckte, um den Umriss zu berühren. Er fühlte warmes, drahtiges Fell. Es war Cleopatra. Aber sie rührte sich nicht.
Spätestens jetzt konnte er sich selbst nicht mehr darüber belügen, dass der Katze etwas Schlimmes zugestoßen sein musste, doch absurderweise
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