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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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gewusst. Du wolltest es nur nicht wissen. Du verleugnest dieses Wissen, weil du den Gedanken nicht erträgst.«
    »Das … das ist absurd«, stammelte Mogens. Er wusste selbst nicht mehr wirklich, warum er das sagte, aber Graves beantwortete diese Frage für ihn.
    »Du willst es nicht wahrhaben, weil es Janice’ Tod kleiner machen würde«, sagte er hart. »Weil es bedeuten würde, dass nichts Besonderes daran war.«
    »Hör auf!«, sagte Mogens. Seine Stimme zitterte.
    Aber Graves hörte nicht auf. Seine Stimme wurde schneidend, und ein bewusst verletzender Unterton mischte sich hinein. »Ich kann dir versichern, es war nichts Außergewöhnliches daran«, fuhr er fort. »Ich jage diese Ungeheuer seit neun Jahren, seit dem Tag, an dem ich Harvard verlassen habe! Du hast dich wie ein verletztes Tier in ein Loch verkrochen, um deine Wunden zu lecken, aber ich habe sie gesucht, Mogens! Und ich habe sie gefunden, überall auf der Welt! Hier! In Europa! In den Wüsten Asiens und den Dschungeln Südamerikas, auf den eisigen Hängen des Himalaja und in den Savannen Afrikas! Sie sind überall, Mogens, und ich kann dir eins versichern: Was dir widerfahren ist, ist rein gar nichts Außergewöhnliches. Du glaubst, es wäre der Teufel persönlich, der aus der Hölle heraufgestiegen ist, um dich zu bestrafen?« Er lachte böse. »Du täuschst dich, Mogens. Sowichtig bist du nicht. Es war nichts Besonderes. Es ist vorher passiert, und es wird weiterhin passieren. Einfach …«, er schnippte mit den Fingern; ein Laut, der durch das schwarze Leder seiner Handschuhe zu einem sonderbar weichen, flüssigen Geräusch gemacht wurde, »… so.«
    »Hör auf, Jonathan!«, wimmerte Mogens. »Du weißt ja nicht, was du da redest! Was weißt du von Verlust?«
    »Oh, du glaubst, ich hätte nicht dafür bezahlt?«, schnappte Graves. Wütend hob er die Hände und streckte Mogens die gespreizten Finger entgegen. Etwas Dunkles, Wogendes erschien in seinen Augen, wie ein schwarzes Aufblitzen, das Mogens instinktiv einen halben Schritt vor ihm zurückweichen ließ. »Du täuschst dich! Ich habe bezahlt, mehr, als du dir auch nur vorstellen kannst, Mogens! Ich habe Dinge gesehen, die kein Mensch jemals sehen sollte. Und ich habe mehr dafür bezahlt, als irgendein Mensch je bezahlen sollte.« Er nahm die Hände herunter und schüttelte trotzig den Kopf. »Aber habe ich aufgegeben? Nein! Ich verkrieche mich nicht beleidigt in einer Ecke und hadere mit dem Schicksal, Mogens. Und du solltest endlich auch damit aufhören!«
    »Warum tust du mir das an, Jonathan?«, wimmerte Mogens. Er zitterte am ganzen Leib. Graves’ Gestalt begann vor ihm zu verschwimmen, als heiße Tränen in seine Augen schossen. Er versuchte nicht einmal mehr, sie zurückzuhalten. »Warum tust du mir das an?«
    »Damit du aufhörst, dich selbst zu zerfleischen, Mogens.« Graves’ Stimme wurde sanft. »Deine Trauer um Janice in Ehren, aber neun Jahre sind genug. Du tust Janice keinen Gefallen damit, Mogens. Wenn du etwas für sie tun willst, dann hilf mir, das Geheimnis dieser Ungeheuer zu lüften. Wenn die Welt erst einmal weiß, dass sie existieren, dann können wir sie auch bekämpfen.«
    »Sagtest du nicht gerade selbst, dass die Menschen es gar nicht wissen wollen?«, fragte Mogens bitter.
    »Dann hilf mir, sie dazu zu zwingen!«, antwortete Graves. »Wenn wir der Welt beweisen, dass es sie gibt, wird sie die Augen nicht länger vor der Wahrheit verschließen können!«
    Mogens schwieg lange. Endlos lange. Er wusste nicht, was er in dieser Zeit dachte, was in ihm vorging. Etwas zerbrach in diesen Momenten in ihm, lautlos und seltsam undramatisch, aber auch endgültig. Graves hatte Recht mit jedem einzelnen Wort, das er gesagt hatte. Genau wie ein verletztes Tier sich an einen dunklen, stillen Ort zurückzieht, um zu sterben, hatte er sich in den letzten neun Jahren seines Lebens in einem staubigen Kellerloch in Thompson verkrochen, um seinen Schmerz zu pflegen. Das Selbstmitleid, das Graves ihm – zu Recht – vorgeworfen hatte, war zugleich auch alles gewesen, was ihm überhaupt noch die Kraft gegeben hatte, am Leben zu bleiben. Graves hatte ihm auch das jetzt noch genommen. Nun hatte er nichts mehr. Er fühlte sich leer.
    »Und was erwartest du jetzt von mir?« Selbst diese wenigen Worte hervorzubringen kostete ihn fast mehr Kraft, als er noch hatte. Auch in ganz handfestem Sinne: Das Gefühl des Ausgelaugtseins beschränkte sich nicht nur auf seine Seele. Er musste

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