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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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die Hand ausstrecken und sich an Graves’ Wagen festhalten, um überhaupt noch auf den Beinen zu bleiben.
    »Dass du dich entscheidest, Mogens«, antwortete Graves. »Jetzt. Ich weiß, es ist unfair. Es kommt zu schnell, und ich lasse dir nicht wirklich eine Wahl. Aber auch mir bleibt keine Wahl. Und keine Zeit. Sag nein, und ich lasse dich noch heute von Tom zum Bahnhof bringen. Mach dir keine Sorgen wegen Sheriff Wilson – ich bringe das in Ordnung. Ich gebe dir eine Fahrkarte zurück nach Thompson, oder wohin auch immer du willst, und das Gehalt für ein Jahr. Oder du kommst mit mir nach unten, und wir erlösen den armen Tom endlich aus der Gesellschaft deiner entzückenden Zimmerwirtin.«
    Noch einmal vergingen endlose Sekunden quälenden Schweigens, aber dann drehte sich Mogens demonstrativ zu dem großen Zelt in der Mitte des Lagerplatzes herum und holte hörbar Luft. »Gehen wir Tom retten«, sagte er. Und vielleicht den Rest der Welt.

Eines wurde Mogens recht schnell klar: Zumindest im Augenblick hatte es Tom eindeutig nötiger als die Welt, gerettet zu werden. Obwohl der Generator lief und mit seinem gleichmäßigen Tuckern jedes andere Geräusch zu übertönen versuchte, hörten sie Miss Preusslers Stimme schon, als sie die Leiter hinabstiegen und in die unterirdische Anlage eindrangen. Graves sagte nichts, aber Mogens entging weder sein unwilliges Stirnrunzeln noch die Tatsache, dass er schneller ausschritt, je mehr sie sich der Tempelkammer näherten.
    »Davon war nicht die Rede, verdammt«, knurrte er. »Er sollte ihr lediglich den Gang zeigen!«
    »Jetzt bist du zu hart mit Tom.« Mogens hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. »Ich habe dir schon mal gesagt: Wenn sich Miss Preussler einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann erreicht sie es im Allgemeinen auch.«
    Graves’ Stirnrunzeln wurde noch tiefer, aber er sagte nichts mehr, sondern schritt nur noch schneller aus, sodass sie kaum eine Minute später in die große, von elektrischen Glühbirnen fast taghell erleuchtete Tempelkammer traten. Miss Preussler war im ersten Moment zwar nicht zu sehen, aber ganz und gar unüberhörbar. Ihre Stimme drang hinter der schwarzen Totenbarke hervor, und nun erschien auch auf Mogens’ Gesicht ein besorgter Ausdruck. »Die Geheimtür ist doch hoffentlich …«
    »… sicher verschlossen, mach dir keine Sorgen«, fiel ihm Graves ins Wort. Aber für Mogens’ Geschmack klang es fast ein bisschen zu überzeugt, so als erlaube Graves sich nicht, irgendeine andere Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Und er ging auch eindeutig zu schnell weiter, um seine plötzliche Besorgnis zu verhehlen. Mogens fiel ein kleines Stück zurück. Um wirklich mit ihm Schritt zu halten, hätte er schon rennen müssen.
    Ihrer beider Sorge erwies sich jedoch als unbegründet – zumindest, soweit sie die Geheimtür betraf. Die kleine Horusfigur stand so unverändert wie seit vermutlich Jahrtausenden in ihrer Nische, und die verborgene Tür dahinter war verschlossen. Nicht einmal Mogens, der wusste, wonach er zu suchen hatte, vermochte mehr zu erkennen als scheinbar massiven Stein.
    Tom hingegen machte einen durch und durch unglücklichen Eindruck. So wie Miss Preussler auch wandte er ihnen den Rücken zu, als sie sich unter dem ausladenden Heck der Barke hindurchbückten, aber er musste ihre Schritte wohl gehört haben, denn er drehte sich praktisch im gleichen Moment um, und auf seinem Gesicht erschien eine Mischung aus Schuldbewusstsein und Erleichterung, wobei die Erleichterung zumindest im ersten Moment eindeutig überwog. Dann erblickte er die Polizeiuniform, die Mogens trug, und ein fragender Ausdruck machte sich auf seinen Zügen breit.
    »Also wirklich, Thomas – du musst dir schon etwas Besseres ausdenken, wenn du eine arme alte Frau wie mich auf den Arm nehmen willst«, sagte Miss Preussler gerade. »Auch wenn ich …« Sie brach mitten im Wort ab, denn sie hatte sich im Reden umgedreht und just in diesem Moment Mogens und Graves entdeckt. »Professor! Doktor Graves!«, rief sie erfreut. »Sie sind zurück! Wie wunderbar!« Dann brach sie abermals ab und runzelte tief die Stirn. »Professor VanAndt! Haben Sie eine neue Anstellung gefunden?«
    Im allerersten Moment verstand Mogens die Frage nicht, aber dann gewahrte er das amüsierte Funkeln in Miss Preusslers Augen, und er musste nicht an sich hinabsehen, um dessen Grund zu erraten. In der verwaschenen Polizistenkluft, die Wilson ihm gegeben hatte, musste er

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