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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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war«, fuhr Mogens fort, »jedenfalls nicht mehr als sonst. Und dass sie mindestens eine Stunde vor dem Unwetter losgefahren sind. Bis zu der Stelle, an der sie von der Straße abgekommen sind, haben sie allerhöchstens fünf Minuten gebraucht.« Er hielt Tom bei diesen Worten aufmerksam im Auge, aber der Junge starrte nur weiter blicklos ins Leere.
    »Graves hat mir alles erzählt«, sagte er geradeheraus.
    Tom schrak nun doch ein wenig zusammen, und Mogens fuhr rasch und mit einem beruhigenden Kopfschütteln fort: »Ich bin dir nicht böse, Tom. Ich bin sicher, du hast mich nicht freiwillig angelogen.«
    »Doktor Graves hat es von mir verlangt«, sagte Tom leise. Wieder wich er Mogens’ Blick aus, wenn auch jetzt wohl aus vollends anderen Gründen.
    »Ich weiß«, antwortete Mogens. »Das hat er mir ebenfalls gesagt.« Er lächelte, um die Situation ein wenig zu entspannen. »Und ich muss schon sagen, deine Erklärung war so überzeugend, dass ich sie tatsächlich geglaubt habe.«
    »Das war nicht meine Idee«, antwortete Tom.
    »Graves?«
    Tom nickte, und Mogens spürte ein rasches Aufwallen von fast bizarrer Wut. Wäre diese Erklärung von Tom gekommen, hätte er sie bewundert, da sie jedoch von Graves kam, ärgerte sie ihn ungemein.
    »Du warst trotzdem gut«, sagte er nach einer winzigen Pause und auch nicht in vollkommen überzeugendem Ton. »Und ich sage es noch einmal: Ich bin dir nicht böse. Ichkenne Doktor Graves schon eine Weile länger als du. Ich weiß, dass er sehr … überzeugend sein kann, wenn er etwas wirklich will.« Er machte eine Kopfbewegung zum anderen Ende des Lagers hin. »Komm mit, Tom. Gehen wir ein Stück.«
    »Doktor Graves …«, begann Tom unsicher.
    »Das geht schon in Ordnung«, unterbrach ihn Mogens. »Ich möchte, dass du mir ein wenig über dich erzählst.«
    »Über mich?« Tom wirkte regelrecht erschrocken.
    Mogens nickte, setzte sich in Bewegung und ging langsam los, sodass Tom ihm wohl oder übel folgen musste, bevor er antwortete. »Doktor Graves hat mir erzählt, wie ihr euch kennen gelernt habt.«
    Diesmal fuhr Tom mehr als nur ein wenig zusammen. In seinen Augen flammte Panik auf. »Er …?«
    »Diese … Kreaturen haben deine Eltern getötet, nicht wahr?«, fragte Mogens rasch. Er verbesserte sich. »Deine Adoptiveltern.«
    »Sie waren meine Eltern«, antwortete Tom. Er wirkte verwirrt, beinahe verstört, als hätte er etwas gänzlich anderes erwartet. »Jedenfalls für mich.«
    »Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst«, sagte Mogens. »Ich kann mir vorstellen, dass es dir schwer fällt.«
    Sie legten vier oder fünf Schritte zurück, bevor Tom antwortete, und als er es tat, da war seine Stimme auf fast unheimliche Weise verändert. Er sah abwechselnd Mogens und die Barriere aus nahezu undurchdringlichem Dickicht an, auf die sie sich langsam zubewegten, aber seine Augen schienen etwas vollkommen anderes zu sehen. »Niemand hat mir geglaubt«, sagte er. »Ich habe sie gesehen, und ich habe es allen erzählt, aber niemand hat mir geglaubt.« Vielleicht war es ein bitteres Lachen, das Mogens hörte, vielleicht auch ein unterdrücktes Schluchzen, als ihn die Erinnerung zu übermannen drohte. Mogens hatte ein schlechtes Gewissen, dem Jungen diese Qualen zuzumuten, aber er hatte mehr denn je das Gefühl, dass es wichtig war, alles zu erfahren und nicht nur das, was Graves ihm verraten wollte .
    »Erzähl einfach, Tom«, bat er. »Und hör auf, wenn es zu schlimm wird.« Als ob er das könnte! Mogens hatte zu viele eigene und schmerzhafte Erfahrungen im Erzählen schlimmer Geschichten, um nicht zu wissen, dass es unmöglich war, aufzuhören, wenn man erst einmal die Kraft aufgebracht hatte, anzufangen.
    »Wir haben ganz hier in der Nähe gelebt«, begann Tom. »Gleich auf der andern Seite des Friedhofs. Meine Eltern hatten dort ’ne kleine Farm. Heute gibt es sie nicht mehr. Sie ist verfallen, nachdem niemand mehr dort gelebt hat, und irgendwann ist Feuer ausgebrochen. Was übrig geblieben ist, hat sich der Sumpf geholt. Aber damals haben wir hier gelebt, und es war ’n gutes Haus.« Seine Hand deutete nach Osten; vermutlich in die Richtung, in der die Farm gelegen hatte. Mogens fragte sich, was man in einer Gegend wie dieser anpflanzen konnte. »Mein Vater hat sich was dazuverdient, indem er auf den alten Friedhof Acht gegeben hat. Niemand wollte das machen. Die Leute haben komische Geschichten über den Friedhof erzählt, und es wurd auch nicht gut

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